Springe direkt zu Inhalt

Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft. Ein Erfahrungsbericht vom Deutschen Kongress für Geographie 2023

Autor: Stephan Liebscher

Ein Teil der Seminargruppe des StuROPx-Projektes „Labour Geographie im Kontext akademischer Lehre und Forschung“ nahm am Deutschen Kongress für Geographie teil. Der diesjährige „DKG“ fand am Campus Westend der Goethe-Universität Frankfurt am Main statt. Unter dem Motto „Planetary Futures“ wurden über 600 Fachsitzungen, Lectures und Exkursionen angeboten. Mehrere tausend Wissenschaftler*innen und Student*innen der Geographie aus dem deutschsprachigen Raum kamen dabei zusammen, um über aktuelle Themen der Geographie zu sprechen. Neben Klimawandel, Wohnen und sozialer Reproduktion standen auch die Arbeitsbedingungen an Universitäten und Forschungseinrichtungen im Fokus.

Zum Auftakt organisierte eine kleine Mittelbau-Gruppe bestehend aus promovierenden und promovierten Wissenschaftler*innen am ersten Tag eine Diskussionsveranstaltung zu Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft. Initiativen von Studierenden, wissenschaftlichen Mitarbeitenden und Stipendiat*innen stellten ihre Kampagnen vor. Ein Vertreter des Netzwerks für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss e. V.) appellierte an den gefüllten Hörsaal, die kürzlich gestartete Petition „Stoppt die Dauerbefristung in der Wissenschaft“ zu unterzeichnen. Durch eine breite Reichweite über die Wissenschaft hinaus verspricht sich NGAWiss, ein weiteres Signal an die Bundespolitik für eine arbeitnehmerfreundliche Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetz zu setzen.

Der Beitrag unserer Forschungsgruppe fügte sich gut in das Kongressgeschehen ein. Anhand eines Forschungsposters stellten wir Zwischenergebnisse unserer Studie zur Zusammensetzung der Belegschaft an einem Standort der Berlin University Alliance vor. Während Arbeitskämpfe an deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen in den letzten Jahren spürbar zugenommen haben, fehlen Studien zu den Möglichkeiten der politischen Organisierung von unterschiedlichen Berufsgruppen am Arbeitsort Universität. Das Ziel des Forschungsprojektes bestand daher darin, diese Forschungslücke zu bearbeiten. Leitend war für uns die Perspektive, dass alle Angestellten an einer Universität Arbeiter*innen sind, ob sie nun mehrheitlich Kopfarbeit leisten wie Wissenschaftler*innen oder eher körperliche Tätigkeiten verrichten wie Putzkräfte und Hausmeister*innen. Für eine entsprechende methodische Umsetzung griffen wir auf die Arbeiter*innenbefragung des britischen Kollektivs Notes From Below zurück, die eine lange Tradition in der Arbeiter*innenbewegung und -forschung hat. Die Methode ermöglicht, sowohl die Gestaltung des Arbeitsprozesses durch den Arbeitgeber, als auch die sozioökonomische Zusammensetzung sowie Vorerfahrung in und Interesse an Arbeitskämpfen zu erfragen.

Auf Basis unserer empirischen Daten lässt sich für den untersuchten Berliner Exzellenzstandort festhalten, dass sich die politische Organisierung von Arbeiter*innen in einem Spannungsfeld von Möglichkeiten und Hürden bewegt: Die befragten Beschäftigten begreifen einerseits die stark fragmentierte und prekär beschäftigte Belegschaft als Folge von neoliberalem Management (Steigerung der Produktivität, Wettbewerbsorientierung, Outsourcing und Verschlankung der Belegschaft). Andererseits zeigten sich die Befragten sehr interessiert an Initiativen für bessere Arbeitsbedingungen und können an Erfahrungen mit Arbeitskämpfen aus früheren Beschäftigungen anknüpfen. Dass sich Beschäftigte derzeit kaum berufsgruppenübergreifend als Belegschaft zusammenschließen, wird vor allem mit unterschiedlichem Problembewusstsein hinsichtlich der Arbeitsbedingungen sowie Konflikten und dem fehlenden Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen den Berufsgruppen erklärt.

Die angeregte Diskussion in unserer Session verweist nochmals auf die Relevanz, Arbeitsbedingungen an Universitäten und Forschungseinrichtungen aus einer Arbeiter*innenperspektive zu erforschen. Die Forschungsgruppe fühlt sich durch die Erfahrungen beim DKG in Frankfurt motiviert, die bisherigen Forschungsergebnisse auch an anderen Orten vorzustellen und weitere empirische Daten zu erheben.