Potentiale der Objektbiografie. Konzeptuelle und literaturtheoretische Ansätze im Vergleich
Alexandra Zysset
Seit einigen Jahren begegnet man der Objektbiografie überall: Sachbücher zu einzelnen Dinge wie der Muskatnuss oder dem im Humboldt-Forum verwahrten „Prachtboot“ sind Bestseller und auf arte wird die Geschichte des NS-Konzentrationslagers Auschwitz in 33 Objekten erzählt. Im Kern folgen diese Erzählungen alle dem biografischen Schema und erzählen das „Leben“ eines Objektes von der „Geburt“ (Herstellung) bis zu seinem „Tod“ (Verwahrung in der Vitrine oder im Archiv). Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass sich die Auffassungen je nach Disziplin und Anwendungsbereich stark unterscheiden: In den materialbasierten Wissenschaften ist die Objektbiografie in Anlehnung an den Anthropologen Igor Kopytoff als Konzept präsent, anhand dessen komplizierte historische, kulturelle, ökonomische und soziale Zusammenhänge erzählt werden. Dies spiegelt sich auch in der Museumsdidaktik und Populärwissenschaft wider. Narratologische Fragen, die seitens der Literaturwissenschaft an die Objektbiografie als Genre herangetragen werden, werden dabei jedoch größtenteils ausgeklammert. In meinem Vortrag möchte ich einerseits die narratologischen Bedingungen der Objektbiografie nach Kopytoff herausarbeiten und diesem Konzept andererseits die 1929 vom sowjetrussischen Schriftsteller Sergej Tretjakow postulierte „Biographie des Dings“ gegenüberstellen, die den Anthropozentrismus der Form in Frage stellt und stärker auf die Produktion fokussiert. In diesem kurzen, literaturtheoretischen Text fand unser X-Tutorial im Wintersemester 2024/25 ein möglicher Ideengeber, wenn es um die im Kontext der Museumsarbeit derzeit international diskutierte Kritik an der Objektbiografie geht.