„Es macht einen großen Unterschied, ob ein Schüler seine Perspektive zu einem Thema einbringt oder eine Professorin“
Prof. Dr.-Ing. Christine Ahrend leitet an der Technischen Universität Berlin das Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung. Als Expertin für transdisziplinäre Forschung bringt sie ihr Wissen im Steering Committee für „Knowledge Exchange“ der BUA ein, um den gegenseitigen Austausch von Wissen aus den Wissenschaften und verschiedenen Bereichen der Gesellschaft zu fördern. Gemeinsam mit dem BUA-Team des Schwerpunkts „Focusing on Grand Challenges“ und „Fostering Knowledge Exchange“ ist das Konzept für die partizipative Themenfindung der Next Grand Challenge entwickelt worden.
Frau Prof. Ahrend, wir beobachten, dass die Zahl der Beteiligungsformate zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft wächst. Warum ist das Wissen der Zivilgesellschaft wichtig für die Forschung?
Die Zusammenarbeit von Gesellschaft und Wissenschaft bezeichnet man als transdisziplinären Forschungsmodus. In den wissenschaftlichen Disziplinen haben wir eine enorme Tiefe an Fachwissen erreicht, doch dieses Fachwissen allein reicht nicht aus, um die drängenden Herausforderungen unserer Zeit, wie Klimawandel, Digitalisierung oder globale Gesundheit, zu bewältigen. Diese Herausforderungen verlangen zusätzlich konkretes Praxis- und Handlungswissen, um gesellschaftliche Veränderungen zu ermöglichen. Transdisziplinäre Forschung setzt genau dort an. Sie ermöglicht sowohl wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn als auch umsetzungsorientierte Problemlösungen, indem sie wissenschaftliche und gesellschaftliche Akteur*innen an einen Tisch bringt. Gemeinsam bestimmen sie, was das Erkenntnisproblem ist, formulieren Forschungsfragen und vereinbaren, wie sie zusammenarbeiten, um zu neuen Erkenntnissen und konkreten Lösungen zu gelangen. Transdisziplinarität ist damit mehr als punktuelle Bürgerbeteiligung in Forschungsprojekten, es ist ein neues Verständnis über den Umgang mit Wissen und das Treffen von Entscheidungen.
Was passiert, wenn Wissenschaft auf die Berliner Stadtgesellschaft trifft?
Im Themenfindungsprozess der Next Grand Challenge konnten wir das gut beobachten. Es macht einen großen Unterschied, ob ein Schüler seine Perspektive zu einem Thema einbringt oder eine Professorin, die schon seit Jahrzehnten in ihrer Disziplin forscht. Das Wissen der beiden fußt auf unterschiedlichen Vorerfahrungen, was das eine nicht weniger wertvoll als das andere macht. Forschung darf nicht abgekapselt von der Stadtgesellschaft in ihrem Elfenbeinturm arbeiten, sondern muss aktiv andere Blickwinkel einbeziehen. Von vielen Akteur*innen aus der Zivilgesellschaft haben wir die Rückmeldung erhalten, wie sehr sie sich darüber freuen gehört zu werden und ihre Perspektive einzubringen, auf Augenhöhe mit echten Wissenschaftler*innen. Viele Wissenschaftler*innen fanden wiederum die Perspektiven der gesellschaftlichen Akteur*innen bereichernd. Beide Seiten profitieren von diesem Austausch.
Partizipation ist kein Selbstläufer. Wie bringt man Menschen dazu, sich zu beteiligen?
Oft bereits, indem man grundsätzlich die Relevanz ihrer Perspektive anerkennt und begrüßt. Viele Personen fragen sich, inwiefern sie überhaupt etwas Wertvolles beisteuern können. Es ist wichtig, den Personen den Wert ihres Erfahrungswissens aus der Praxis zu zeigen und warum sie damit einen Impact in zukünftige Forschung haben können. Viele freuen sich darüber, ganz besonders Jugendliche, die das Gefühl haben, von der älteren Generation zu wenig gehört zu werden. Deshalb war der Jugendbeteiligungsprozess der Next Grand Challenge auch so wichtig, weil wir der Jugend Gehör verschaffen konnten, im direkten Austausch mit Wissenschaftler*innen auf Augenhöhe. Für andere Menschen, aus zum Beispiel der organisierten Zivilgesellschaft, geht es zusätzlich darum, neue Kontakte zu knüpfen, etwa für zukünftige Projekte oder ähnliches. Prinzipiell gilt in jedem Partizipationsprozess immer: Hemmnisse zur Beteiligung müssen gering gehalten werden. Deshalb haben wir zum Beispiel für die Jugendlichen eine Aufwandsentschädigung ausgezahlt, wie es auch bei anderen Partizipationsprozessen üblich ist. Jugendliche mit Nebenjob müssen so nicht finanziell darunter leiden, dass sie ihre Freizeit opfern und dann an diesem Tag nicht arbeiten können.
Wann ist transdisziplinäre Forschung erfolgreich?
Transdisziplinäre Forschung ist dann erfolgreich, wenn das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen der Stadtgesellschaft und Wissenschaftler*innen dazu führt, dass auch das Wissen aus der Stadtgesellschaft einen tatsächlichen Impact auf die Forschung und damit Problemlösungen unserer Zeit hat. Beteiligung nur der Beteiligung willen bringt uns als Gesellschaft nicht voran, da die beteiligten Akteur*innen frustriert darüber sind, dass sie ihre Zeit investiert haben, aber keine direkten Auswirkungen spüren. Deshalb ist es so wichtig, allen Beteiligten immer wieder zu erklären, wie gewinnbringend der gegenseitige Austausch sein kann – und dann die geweckten Erfahrungen auch mit tatsächlichem Handeln zu erfüllen.