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Künstliche Intelligenz: Von technologischer Innovation hin zu lebensrettender Praxis

Nico Marquardt ist einer der fünf Gewinner*innen unseres Ideenwettbewerbs "Kunst trifft Wissenschaft". Gewonnen hat er in der Kategorie Global Health - eine der großen Herausforderungen unserer Zeit.

Nico Marquardt ist einer der fünf Gewinner*innen unseres Ideenwettbewerbs "Kunst trifft Wissenschaft". Gewonnen hat er in der Kategorie Global Health - eine der großen Herausforderungen unserer Zeit.

Nico Marquardt forscht an der Charité Berlin zu KI-Lösungen für sichere Geburten weltweit.

Jeden Tag sterben weltweit über 700 Frauen an vermeidbaren Komplikationen während Schwangerschaft und Geburt, vor allem in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Das entspricht mehr als 260.000 Todesfällen pro Jahr. Viele dieser Todesfälle könnten durch frühzeitige Risikobewertung, schnellere Diagnostik und gezieltere Versorgung vermieden werdenIn seinem Promotionsprojekt „From Pilot to Practice“ untersucht Nico Marquardt, wie Künstliche Intelligenz (KI) in Ländern mit begrenzten Ressourcen eingesetzt werden kann, um die Müttersterblichkeit zu senken.

Ziel des Projektes ist es, frühzeitige Diagnosen und gezielte Interventionen zu ermöglichen, um Leben zu retten. Damit trägt Nicos Forschung zur globalen Reduzierung der Müttersterblichkeitsrate bei und sorgt dafür, dass technologische Innovationen ihre maximale gesellschaftliche Wirkung entfalten.

Das Projekt umfasst drei Phasen: Zuerst wird eine systematische Erfassung aktueller KI-Anwendungen zur Reduktion der Müttersterblichkeit durchgeführt. Im zweiten Schritt führt Nico qualitative Interviews in Ghana mit medizinischem Personal, Patientinnen und anderen Stakeholdern, um die Akzeptanz und Herausforderungen von KI im Gesundheitsbereich zu verstehen. Abschließend wird ein praxisorientiertes Modell entwickelt, das zeigt, wie KI nachhaltig in nationale Gesundheitssysteme integriert werden kann.

Nico ist Teil des interdisziplinären PhD-Programms Global Health – einem gemeinsamen Programm von sieben wissenschaftlichen Institutionen – und wird wissenschaftlich begleitet von Prof. Dr. Lothar Wieler (Hasso Plattner Institut, Universität Potsdam), Prof. Dr. Tobias Kurth (Institut für Public Health, Charité) und Prof. Dr. Philipp Bouteiller (XU University).

Ein futuristisches KI-Observatorium mitten in Berlin - eine visuelle Interpretation der Forschung von Nico Marquardt. Das Motiv wird im Rahmen der Kampagne DAS OFFENE WISSENSLABOR der BUA im Berliner Stadtraum plakatiert. | Artist: Liam Schnell

Ein futuristisches KI-Observatorium mitten in Berlin - eine visuelle Interpretation der Forschung von Nico Marquardt. Das Motiv wird im Rahmen der Kampagne DAS OFFENE WISSENSLABOR der BUA im Berliner Stadtraum plakatiert. | Artist: Liam Schnell

Lieber Nico, herzlichen Glückwunsch, du hast den BUA-Ideenwettbewerb im Bereich Global Health gewonnen. Was erhoffst du dir von unserem Wettbewerb?

Mit der Teilnahme am Wettbewerb möchte ich dazu beitragen, ein zentrales Ziel der Agenda 2030 – die Reduzierung der Müttersterblichkeit – stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Durch die Verbindung von Wissenschaft und Kunst eröffnen sich neue Wege, um globale Ungleichheiten sichtbar zu machen und gesellschaftliche Veränderungsprozesse anzustoßen.

Was ist auf deinem Plakatmotiv zu sehen, das du gemeinsam mit dem 3D-Künstler Liam Schnell entwickelt hast?

Das Motiv zeigt ein futuristisches KI-Observatorium mitten in Berlin - eine visionäre Verschmelzung aus urbanem Raum, medizinischer Bildsprache und digitaler Zukunft.

Im Zentrum steht ein KI-gestütztes System, das mittels vielfältiger Sensorik und diverser Datenpunkte den Zustand der Schwangerschaft erfasst und auswertet. Eingebettet ist ein abstrahiertes Ultraschallbild, eingefasst von leuchtenden Datenadern, die sich wie digitale Nervenbahnen über die Hausfassade ziehen. Eine Spirale aus Licht und Technik wächst daraus hervor - halb Teleskop, halb Blütenstruktur - und richtet sich fragend in die Welt: Wie kann KI helfen, Leben zu retten? Das Bild zeigt, was oft unsichtbar bleibt - die Hoffnung auf sichere Geburt, technologische Präzision und globale Verantwortung im Zeitalter künstlicher Intelligenz.

Welche Rolle kann Kunst in der Wissenschaftskommunikation spielen?

Kunst kann komplexe Inhalte emotional erfahrbar machen und neue Zugänge eröffnen. In meiner bisherigen wissenschaftlichen Arbeit habe ich vor allem auf traditionelle Kommunikationswege gesetzt. Umso mehr freue ich mich, dass im Rahmen von „Kunst trifft Wissenschaft“ eine neue, kreative Dimension der Wissenschaftskommunikation eröffnet wird.

Frau in Ghana | Credit: Kojo Kwarteng

Frau in Ghana | Credit: Kojo Kwarteng

Inwiefern kann Künstliche Intelligenz helfen, Leben von Müttern zu retten?

KI bietet das Potenzial, Leben zu retten, indem sie auf Basis verfügbarer Gesundheitsdaten – etwa von Routineuntersuchungen oder Basisparametern – frühzeitig Risikoschwangerschaften erkennt, insbesondere dort, wo spezialisierte Diagnostik oder weiterführende Tests nicht zur Verfügung stehen. Somit könnten Machine-Learning-Modelle helfen, lebensbedrohliche Komplikationen wie postpartale Blutungen (PPH), Eklampsie oder Infektionen im Wochenbett frühzeitig zu identifizieren und gezielte Maßnahmen vor Ort schneller einzuleiten.

Du forschst in Ghana, einem Land mit begrenzten Ressourcen. Welche Herausforderungen gibt es dort bei der Einführung neuer Technologien?

Fehlende digitale Infrastruktur, fragmentierte Gesundheitssysteme sowie begrenzte finanzielle und personelle Ressourcen erschweren eine nachhaltige Implementierung von KI-Technologien erheblich. Hinzu kommen ethische Implikationen – insbesondere Fragen des Datenschutzes, der Datensouveränität und der kulturellen Akzeptanz neuer Technologien.

Obwohl weltweit über 400 KI-Anwendungen im Bereich der maternalen Gesundheit entwickelt wurden, erreichen nur wenige davon jemals die Stufe einer einsatzfähigen Technologie im realen Versorgungssystem.

Künstliche Intelligenz - Chance oder Risiko? | Credit: KI

Künstliche Intelligenz - Chance oder Risiko? | Credit: KI

Wie lässt sich das verändern?

Durch die Beteiligung zentraler Stakeholder – darunter Gesundheitsfachkräfte, Patientinnen und politische Entscheidungsträger*innen – werden in meinem Projekt die Stimmen der Menschen vor Ort in den Mittelpunkt gestellt. So sollen technologische Innovationen nicht nur effizient, sondern auch kontextspezifisch, sozial tragfähig und nachhaltig in bestehende Gesundheitssysteme integriert werden.

Du sprichst in deinem Projekt mit medizinischem Personal und Patientinnen – was halten diese von KI?

Viele Gesundheitsfachkräfte sehen in KI eine enorme Unterstützung – gerade in Regionen, wo personelle Ressourcen knapp sind und die nächste Ärztin viele Stunden entfernt ist. Gleichzeitig gibt es Vorbehalte: Wie zuverlässig ist die KI? Wie werden Patient*innendaten geschützt? Es zeigt sich: Akzeptanz entsteht nicht durch Technik allein, sondern durch Transparenz, Erklärbarkeit und die konsequente Einbindung der Betroffenen. 

Global Health ist eine der Grand Challenges der Berlin University Alliance. Wieso gehören globale Gesundheitsfragen zu den großen Herausforderungen unserer Zeit?

Gesundheit ist global – aber Zugang zu Gesundheitsversorgung ist es noch lange nicht. Globale Gesundheitsfragen sind Fragen von Gerechtigkeit, Solidarität und Zukunftsfähigkeit. Sie entscheiden darüber, ob technologische und medizinische Innovationen wirklich allen Menschen zugutekommen oder bestehende Ungleichheiten weiter verschärft werden.

Die sieben am neuen PhD-Programm Global Health beteiligten Forschungseinrichtungen

Die sieben am neuen PhD-Programm Global Health beteiligten Forschungseinrichtungen

Du forschst im Rahmen des interdisziplinären PhD-Programms Global Health – einem gemeinsamen Programm von sieben wissenschaftlichen Institutionen. Erzähl uns mehr davon!

Das neue PhD-Programm in Global Health vereint die Expertise mehrerer führender Institutionen wie der Charité, der Humboldt-Universität, der Freien Universität, der Technischen Universität, der Universität Potsdam und dem Robert Koch-Institut. Diese breite Allianz ermöglicht es, globale Gesundheitsfragen aus verschiedensten wissenschaftlichen Perspektiven zu erforschen – von Public Health über Medizin und Informatik bis hin zu Sozialwissenschaften und Ethik.

Zusätzlich tragen die Promovierenden selbst mit ihren internationalen Hintergründen und Erfahrungen zu dieser Vielfalt bei. Viele von uns bringen bereits praktische Erfahrungen aus internationalen Organisationen wie der WHO oder aus Feldforschungen mit. Diese gelebte Globalität bereichert das Programm um wertvolle Perspektiven.

Die Nähe zu führenden Forschungseinrichtungen und politischen Entscheidungsträgern ergibt ein sehr dynamisches Umfeld, das translationale Umsetzung von Erkenntnissen in konkrete Verbesserungen globaler Gesundheitssysteme fördert – ein Ansatz, der auch meinen PhD maßgeblich prägt.

Lieber Nico, danke für das Gespräch!

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