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Andrew James Johnston und Anne Eusterschulte auf dem Kampagennmotiv vor der Neuen Nationalgalerie

Andrew James Johnston und Anne Eusterschulte auf dem Kampagennmotiv vor der Neuen Nationalgalerie

Wie würden Sie jemandem in der Bahn erklären, was Sie bei Temporal Communities machen?

Andrew James Johnston: Wir zeigen, wie Literatur über lange Zeiträume und verschiedene Kulturen hinweg Menschen, Institutionen, Gegenstände oder Strukturen zusammenbringt und dadurch neue Zusammenhänge schafft. Es gibt im Englischen das schöne Wort „Entanglement“, auf Deutsch würde man „Verflechtung“ sagen. Temporal Communities untersucht solche Verflechtungen: Uns interessiert, wie Dinge, Gedanken oder Werke aufeinandertreffen und sich daraus Neues ergibt.

Das scheint auf den ersten Blick weit entfernt von den Herausforderungen, die uns Menschen im Alltag beschäftigen…

Anne Eusterschulte: Natürlich schlagen auch künstlerische und literarische Auseinandersetzungsformen die Brücke zum Alltag! Aber wie wir uns mit Herausforderungen auseinandersetzen, unterscheidet sich von anderen Wissenschaften. Es geht darum, die Sensibilität für Probleme zu schärfen und zu zeigen: wir teilen diese Probleme, sie betreffen uns alle auf individuelle Weise. Und es geht darum, auch kollidierende Auffassungen und Thematisierungsweisen in verschiedenen Medien und Materialitäten miteinander zu konfrontieren und einen Austausch zu gestalten. Darin liegt die besondere Stärke von Literatur und Kunst.

Das heißt, über Literaturforschung können wir etwas zu aktuellen Fragen, beispielsweise den Klimawandel, lernen?

Eusterschulte: Das Anthropozän, also dass wir in einer Zeit leben, in der der Mensch den Verlauf des Geokosmos – irreversibel – bestimmt, ist ein gigantisches Thema in Literatur und Kunst. Vor Kurzem habe ich zum Beispiel etwas über Klimaangst gelesen - wie kann man so ein Thema eigentlich fassen? Eine literarische Darstellung, in der Kinder aufwachen und Angst vor der Zukunft haben, weil sie dem Klimawandel nicht gewachsen sind, kann einem wissenschaftsfremden Publikum dieses Phänomen unglaublich nahebringen. Literatur kann so die Angst vor dem Morgen verstehbar machen und zeigen: Das ist gar nicht etwas, womit ich allein bin, sondern etwas, womit eine Fülle von Menschen ringt.