Springe direkt zu Inhalt
Verkehrsverlauf in Berlin: Tagesplan einer synthetischen Person in orange, Positionen anderer Fahrzeuge in grün und rot, sowie die NOx-Belastungen (Stickoxide) auf den unterschiedlichen Kanten (in grau). © Kai Nagel / TU Berlin, VSP

Verkehrsverlauf in Berlin: Tagesplan einer synthetischen Person in orange, Positionen anderer Fahrzeuge in grün und rot, sowie die NOx-Belastungen (Stickoxide) auf den unterschiedlichen Kanten (in grau). © Kai Nagel / TU Berlin, VSP

Mit welchen Eigenschaften und Interessen schicken Sie die synthetischen Menschen in die Simulation?

Wolf: Unsere Agenten möchten ihren Nutzen aus der Mobilitätswahl maximieren und betrachten dabei zum Beipiel die Faktoren Geld und Bequemlichkeit. Sie tauschen mit anderen Agenten Informationen über den Nutzen der verschiedenen Verkehrsmittel aus.

Nagel: Bei uns bekommt jeder Agent einen Tagesplan mit Zielen, die er erreichen möchte. Also zur Arbeit fahren, Einkaufen, abends ins Sportstudio oder sich mit Freunden treffen – wie bei richtigen Menschen. Diese Agenten werden dann auf virtuellen Stadtplänen platziert und bekommen jeweils Arbeitsorte und so weiter zugeordnet. Ihr Verkehrsmittel wählen sie nach Kriterien wie Zeitaufwand und Kosten, und auch die Verkehrsmittel selbst spielen eine aktive Rolle, so kann es zum Beispiel Staus im Modell geben, wenn zu viele Fahrzeuge auf einer Straße sind.

Woher kommen die ganzen Daten dazu, wie sich die Menschen verhalten?

Nagel: Tatsächlich besteht Verkehrsplanung zu einem großen Teil aus empirischer Sozialforschung. Seit Jahrzehnten werden Daten zusammengetragen, es gibt Umfragen mit Zehntausenden von Menschen, Verkehrszählungen, Einwohner- und Firmenregister, psychologische Studien. Überprüfen können wir unsere Modelle dadurch, dass wir in ihrer synthetischen Welt die Voraussetzungen für bereits gut untersuchte Effekte schaffen und schauen, ob diese reproduziert werden.

Sie sind beide Mitglieder im Exzellenzcluster MATH+. Wo müssen Sie bei Ihrer Forschung besonders knifflige mathematische Probleme lösen?

Wolf: Das Verhalten von Millionen von Agenten zu simulieren braucht Zeit, und die haben wir in einem Tagesworkshop nicht. Um dieses Problem zu lösen, kann man die Zahl der auszuwählenden Optionen klein halten und all ihre Kombinationen einfach vorher schon simulieren. Wenn man aber wirklich live sein will, muss man die Modelle vereinfachen. Ein Weg ist dabei, mit Methoden der sogenannten Moleküldynamik zu arbeiten und das Verhalten der Agenten durch Gleichungen anzunähern, die sich wesentlich schneller durchrechnen lassen. Dann kann man auch auf komplexe Kompromissvorschläge der Teilnehmenden flexibel reagieren, etwa wenn die vorschlagen, dass die Parkgebühr nicht verdreifacht, sondern nur verdoppelt wird, und dafür der Bus nur alle 15 statt 10 Minuten kommt.

Nagel: Der viel gescholtene Kompromiss ist nämlich in Wirklichkeit der Normalfall bei demokratischen Entscheidungen.

Wolf: Ja, im Idealfall sind unsere Workshops wissenschaftlich fundierte Kompromiss-Maschinen!

Frau Wolf, Herr Nagel, vielen Dank für das Gespräch!

Wozu lässt sich Mathematik noch anwenden? Hier sind weitere Beispiele →

Ungewöhnliche Wissenschaftskommunikation von MATH+: Der Comic "Ida und der Matheagent"