Quantenlicht trifft Diamant – inspiriert vom Sägefisch
Marco Stucki ist einer der fünf Gewinner*innen unseres Ideenwettbewerbs "Kunst trifft Wissenschaft". Gewonnen hat er in der Kategorie Quantentechnologien - eines der großen Transformationsthemen unserer Zeit.
Marco Stucki entwickelt am Ferdinand-Braun-Institut winzige Strukturen aus Diamant, die helfen, Quanteninformationen zu speichern und zu übertragen – ein möglicher Baustein für die Computer der Zukunft.
Quantencomputer gelten als Schlüsseltechnologie von morgen. Sie versprechen eine Revolution in der Informationsverarbeitung; die Vereinten Nationen haben das Jahr 2025 sogar zum Internationalen Jahr der Quantenwissenschaft und -technologie erklärt. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg: Qubits, die grundlegenden Informationseinheiten eines Quantencomputers, sind extrem störanfällig. Die technische Kontrolle über viele Qubits gleichzeitig ist komplex, und auch die verlustfreie Übertragung von Quanteninformationen stellt die Forschung vor große Herausforderungen.
Genau hier setzt Marco Stucki mit seiner Forschungsgruppe an: Im angewandten Bereich der Quanteninformationsverarbeitung entwickeln sie neuartige Materialplattformen, mit denen Qubits erzeugt, manipuliert und weitergeleitet werden können. Herzstück ihrer Arbeit ist die Sawfish Cavity – ein optischer Resonator mit wellenförmiger Struktur, der Licht effizient verstärken und gezielt in Glasfasern leiten kann. Der Name ist inspiriert von der markanten Nase eines Sägefisches.
Das Besondere: Die gesamte Struktur wird im härtesten Material der Welt gefertigt – Diamant. Mit Elektronenstrahlen und Plasmatechnologie entstehen so winzige Bauelemente auf Nanoskala, die irgendwann zentrale Rollen in Quantenkommunikationssystemen übernehmen könnten.
Im Interview spricht Marco über die Herausforderungen der Arbeit mit Diamant, über leuchtende Farbzentren, Quantenbits und darüber, warum wir Quantencomputer wohl so bald nicht in der Hosentasche tragen werden – aber sie unsere Welt trotzdem verändern können.
3D-Artist Hannelore Braisch hat Marcos Forschung interpretiert: Diamanten und Netzwerke aus Quantenlicht am Kottbusser Tor. Der Hintergrund: Quantenzustände können als rote Lichtteilchen versendet werden - die Grundlage von Quantenkommunikation.
Lieber Marco, herzlichen Glückwunsch, du bist Sieger des BUA-Ideenwettbewerbs im Bereich Quantum. Was hat dich bewogen, am Wettbewerb teilzunehmen?
Neben der Forschung an sich sehe ich Wissenschaftskommunikation als eine der Hauptaufgaben eines Wissenschaftlers. Forschung wird nicht nur aus Eigeninteresse oder für mögliche Industrieanwendungen betrieben. Wissenschaft ist ein Kulturgut und als solches soll es unseren Mitmenschen zugänglich gemacht werden. Forschung mit Kunst darzustellen, ermöglicht, komplexe Zusammenhänge herunterzubrechen und visuell ansehnlich und aufregend darzustellen. Als ich vom Ideenwettbewerb „Kunst trifft Wissenschaft“ gehört habe, sah ich es als eine einmalige Chance, meine Forschung der Öffentlichkeit zu kommunizieren.
Dein Projekt heißt Sawfish Cavity – benannt nach der Nase eines Sägefisches. Wie kam es zu diesem Namen, und was hat es mit dieser besonderen Struktur auf sich?
Eine Cavity ist in unserem Kontext ein optischer Resonator. Resonatoren können Licht auf einem kleinen Gebiet einsperren und darin verstärken. Sie sind unverzichtbare Bausteine für optische Experimente und viele technische Anwendungen. Die anschaulichste Art, wie sie gebaut werden, ist, indem man zwei Spiegel einander gegenüberstellt. Wenn nun Licht zwischen diese Spiegel gelangt, wird es immer wieder hin und her reflektiert und dabei für eine Zeit zwischen den Spiegeln gefangen gehalten, bis es entweder absorbiert wird oder es doch aus den beiden Spiegeln entkommen kann. Wenn nun immer mehr Licht in die Cavity gelangt als entweicht, wird die Intensität des Lichts zwischen den beiden Spiegeln immer größer.
Mit der Sawfish Cavity hat unsere Forschungsgruppe eine neue Resonator-Struktur entworfen, die gute Eigenschaften im Vergleich zu schon etablierten Cavity-Strukturen zeigt. Außerdem können wir mit ihrer Hilfe Licht mit niedrigem Verlust weiterleiten, z. B. in ein Glasfaserkabel.
Elektronenmikroskop-Aufnahme einer Sawfish Cavity: Obenansicht der winzigen Diamantstruktur. Das Design und die Simulation stammen von Julian Bopp, gefertigt wurde sie von Marco Stucki.
Mit der Hoffnung, dass die breite Forschungsgemeinschaft unsere Struktur ausprobiert, wollten wir einen Namen finden, den man sich gut merken kann. Die Nase des Sägefisches erinnert an das wellenförmige Muster unserer Struktur. Der Name ist kurz, knackig und bleibt einem im Kopf.
Du arbeitest mit Diamanten auf Nanoskala – wie kann man sich das vorstellen?
Unsere Cavity ist zwar circa einen hundertstel Millimeter lang, hat aber eine Breite von idealerweise nur 20 Millionstel Millimeter. Würde man ganz Berlin auf die Breite eines menschlichen Haares verkleinern, wäre die Breite der Cavity etwa so groß wie die Kugel auf dem Fernsehturm. Auf dieser Skala mit Diamant zu arbeiten, ist eine zusätzliche Herausforderung, denn es ist das härteste Material der Welt und kann nur durch Diamant selbst zerkratzt werden. Chemisch ist Diamant nicht reaktiv, so dass starke Säuren und Basen Diamant nichts anhaben können.
Wie stellst du so kleine Strukturen in einem so harten Material her?
Mit Plasma. Wir verwenden die Technologien, die von der Halbleiterindustrie entwickelt wurden, um Mikrochips herzustellen. Etwas vereinfacht gesagt, tragen wir eine Art Lack auf den Diamanten auf.
Um unsere Struktur auf den Lack zu übertragen, verwenden wir einen gebündelten Elektronenstrahl. Der Lack wird dort geschwächt, wo der Strahl auftrifft und kann anschließend mit einem Lösungsmittel entfernt werden. So können wir beliebige Muster in den Lack zeichnen. Das Ergebnis ist eine Maske direkt auf dem Diamanten, die nun eine Obenansicht der Sawfish Cavity abbildet.Diese Maske beschützt den Diamanten selektiv, wenn wir ihn in einen Plasmaofen setzen, in dem die nicht maskierte Oberfläche kontrolliert verbrannt wird. Wir haben nun unsere Sawfish-Struktur in den Diamanten übertragen, es folgen dann noch ein Paar Plasmaätz- und Beschichtungsschritte, um die Struktur vom Diamantuntergrund zu trennen. Die fertige Struktur ist am Ende überhängend wie eine Brücke.
Wie helfen diese winzigen Strukturen dabei, Quanteninformation zu speichern oder zu verschicken?
Die Quantensysteme, die uns interessieren, existieren in Diamanten: die sogenannten Farbzentren. Sie sind bestimmte Anordnungen von Atomen, die uns erlauben, Quanteninformation zu speichern und zu manipulieren.
Ein Farbzentrum im Diamant: Bei dieser sogenannten Zinn-Fehlstelle sitzt ein Zinnatom (Sn) zwischen zwei fehlenden Kohlenstoffatomen (durchsichtige Kugeln) im Diamantgitter. Die blauen Kugeln sind die umliegenden Kohlenstoffatome (C) des Diamants.
Wir können sie mit den Bits in klassischen Computern vergleichen, also Speicherplätze, die 1 oder 0 enthalten. Farbzentren sind unsere Quantenbits, kurz Qubits. Eine tolle Eigenschaft von Qubits ist, dass sie auch Zustände zwischen 1 und 0 annehmen können, z.B. 25% 1 und 75% 0.
Eine weitere tolle Eigenschaft der Farbzentren ist, dass sie ihren Quantenzustand (1 oder 0 oder dazwischen) als ein einzelnes Lichtteilchen aussenden können. Dieses Lichtteilchen hat eine rote Farbe und kann in eine Glasfaser geleitet und so verschickt werden. Das ist dann schon Quantenkommunikation.
So beeindruckend die Eigenschaften dieser Farbzentren auch sind, reichen sie von Natur aus leider noch lange nicht aus, um damit effizient zu rechnen oder Informationen zu übertragen. Um das zu verbessern, bauen wir Strukturen um die Farbzentren herum. Hier kommt nun die Sawfish Cavity ins Spiel. Ein einzelnes Farbzentrum wird in der Mitte der Cavity platziert. Die Cavity verbessert dann die Eigenschaften des Farbzentrums und erlaubt uns, das Lichtteilchen gleichzeitig effizient einzufangen und über Glasfaser weiterzuleiten.
Quantencomputer gelten als Zukunftstechnologie. Wann und wie werden sie in unserem Alltag spürbar sein?
Quantencomputer sind auf dem Weg. Viele ausgezeichnete Wissenschaftler forschen weltweit daran und stellen immer wieder mit großartigen Experimenten die Fortschritte unter Beweis.
Anfang 2019 stellte IBM den ersten kommerziell – also außerhalb von Laborumgebungen – nutzbaren Quantencomputer vor, den IBM Q System One. Credit: IBM Research
Persönlich denke ich jedoch nicht, dass wir in den kommenden zehn Jahre den Effekt von Quantencomputern im Alltag spüren werden. Bisher ist noch kein existierender Quantencomputer stark genug, um es mit einem herkömmlichen Computer aufnehmen zu können. Das Problem ist, dass die Quantenzustände, die wir kontrollieren wollen, unglaublich fragil und dadurch störanfällig sind. Wenige Qubits können schon gut kontrolliert werden, bei Millionen Qubits ist es aber eine phänomenale Herausforderung. Die Skalierbarkeit ist also ein Problem.
Die zweite Frage ist, wie Quantencomputer im Alltag spürbar werden, wenn sie denn da sind. Viele Leute denken, dass wir dann Quantencomputer in unserer Hosentasche tragen werden oder der neue Gamingcomputer auf Quanten basiert. Dass Quantencomputer wie klassische Computer von jedermann verwendet werden, ist möglich, aber zurzeit nicht absehbar.
Obwohl Quantencomputer alles und mehr können als klassische Computer, kommen die extra Fähigkeiten der Quantencomputer mit einem technischen Overhead. Das heißt, dass Standardrechnungen auf dem Quantencomputer sehr viel langsamer sind.
Quantencomputer sind keine schnelleren klassischen Rechner – sie ermöglichen ganz neue Rechenmethoden. Beispielsweise bei der Entwicklung neuer Medikamente könnten sie Probleme lösen, an denen heutige Computer scheitern.
Die Vorteile von Quantencomputern liegen also nicht in einer höheren Prozessorgeschwindigkeit, sondern darin, dass sie völlig neue Rechenmethoden ermöglichen, die klassischen Computern prinzipiell nicht zugänglich sind. Das erlaubt neue Rechenalgorithmen, die sehr große Probleme effizienter und dadurch schneller lösen können.
Das heißt bei Standardrechnungen, die auch ein klassischer Computer gut lösen kann, wird es sich wohl nie lohnen, einen Quantencomputer einzusetzen. Aber bei der Entwicklung von neuen Medikamenten beispielsweise könnten wir von der Rechenpower profitieren. Ähnlich wie in der Anfangszeit der Transistoren lässt sich heute noch kaum absehen, welche Möglichkeiten uns leistungsfähige Quantencomputer einmal eröffnen werden.
Du kommst aus der Schweiz, aber Berlin ist deine Forschungsheimat. Wie erlebst du die Berliner Forschungslandschaft?
Im Vergleich zu Zürich ist Berlin in erster Linie natürlich viel größer. Es gibt viele kostenfreie Angebote gezielt für Doktoranden. Ich habe zum Beispiel schon an einem Schreibkurs teilgenommen, an einem dreitägigen PhD Retreat und kommende Woche mache ich ein Workshop für 3D Modelling.
Die Arbeitsgruppe "Integrated Quantum Photonics" forscht unter der Leitung von Prof. Dr. Tim Schröder an der HU Berlin und dem anwendungsorientierten Ferdinand-Braun-Institut an der Schnittstelle von Quantenphysik und Quantentechnologie.
Trotz der Größe Berlins spielt sich für mich aber Vieles etwas außerhalb ab, auf dem riesigen Science-Campus Adlershof. Neben dem Physikdepartement der Humboldt Uni und dem Ferdinand-Braun-Institut, bei denen ich in der Arbeitsgruppe von Prof. Tim Schröder promoviere, gibt es hier viele Forschungsinstitute und Hightech-Firmen auf engem Raum. Diese geographische Nähe unterstützt Kollaboration.
Zusätzlich zu der wissenschaftlichen Bedeutung der Stadt ermöglicht Berlins lebendige Kunstszene spannende und inspirierende Synergien. Ich habe bereits an Veranstaltungen teilgenommen, bei denen es um Quantenkunst ging – ein Thema, das mich natürlich besonders fasziniert.
Lieber Marco, danke für das Gespräch!
Erfahre mehr zur Quantenforschung am Ferdinand-Braun-Institut.
Hier gelangst du zur Integrated Quantum Photonics Group an der HU Berlin.
Was macht die BUA sonst noch im Rahmen der Grand Challenge Quantentechnologie?