„Jemand muss es auch machen.“ – Über die Sehnsucht nach Transformation in der Wissenschaft
Unter dem Titel „Wo ist die Sehnsucht nach Transformation?“ diskutierten am 14. Mai 2025 auf einem Podium in Berlin-Kreuzberg vier Expertinnen über die Forschung mit der Gesellschaft. Eingeladen zu dem „Zukunftsgespräch“ hatten das TD-Lab der Berlin University Alliance, der Stifterverband, die Stabsstelle Science and Society der TU Berlin und die Gesellschaft für transdisziplinäre und partizipative Forschung (GTPF e.V.). Die Veranstaltung folgte dem Auftaktgespräch am 14.02.2024 unter dem Titel „Exzellente Forschung in exzellenter Gesellschaft“.
Ein Bericht von Dr. Melanie Kryst
Forschung MIT der Gesellschaft
Welche Transformation braucht die Wissenschaft? Wer genau sehnt sich danach? Und was ist eigentlich das Gegenteil von Sehnsucht? Über die Wege, um das Forschen für die Gesellschaft und mit gesellschaftlichen Akteuren in der deutschen Wissenschaftslandschaft zu stärken, sprachen an diesem Abend vier Panelistinnen aus Universitäten, Museen und Fördereinrichtungen, moderiert von Wissenschaftsjournalist Dr. Jan-Martin Wiarda.
„Wir sind überzeugt, dass Transdisziplinarität ein Forschungsmodus ist, der Wissenschaft und Gesellschaft zusammenbringen kann, um Probleme zu lösen und gesellschaftliche Wirkung zu entfalten.“
Nora Kottmann, kommissarische Teamleitung Gesellschaftliche Transformationen, VolkswagenStiftung
„Wir sind überzeugt, dass Transdisziplinarität ein Forschungsmodus ist, der Wissenschaft und Gesellschaft zusammenbringen kann, um Probleme zu lösen und gesellschaftliche Wirkung zu entfalten“, betonte Nora Kottmann, kommissarische Teamleitung des Profilbereichs Gesellschaftliche Transformationen bei der VolkswagenStiftung, gleich zu Beginn des Abends. Wie divers das Forschen mit der Gesellschaft aussehen kann, wurde durch die verschiedenen Beispiele der Sprecherinnen deutlich: Ein Reallabor zum Schutz des Alten Landes hob Prof. Dr. Sabine Maasen, Professorin für Wissenschafts- u. Innovationsforschung und Direktorin der TransferAgentur an der Universität Hamburg, besonders hervor. Über die kollaborative Arbeit an einer App zur Messung und Erforschung urbaner Stress- und Wohlfülorte sprach Dr. Karena Kalmbach, Leiterin der Stabsstelle Strategie und Inhalte des Futurium. Prof. Dr. Julia Wittmayer vom Dutch Research Institute for Transitions der Erasmus University Rotterdam betonte die Möglichkeiten von partizipativer und transdisziplinärer Forschung im Studium.
„Die Ziellogiken von Wissenschaft und Museen bei partizipativen Forschungsprojekten können natürlich gestreamlined sein, sind es es aber eben nicht automatisch. Man muss daher offen über die gewünschten Ziele sprechen, da sich die Institutionenlogiken unterscheiden.“
Dr. Karena Kalmbach, Leiterin der Stabsstelle Strategie und Inhalte, Futurium
Die Beispiele zeigten nicht nur einen doppelten Mehrwert, sondern auch die Herausforderungen und Schwierigkeiten, die die unterschiedlichen Handlungsweisen der beteiligten Partner*innen aus Wissenschaft und Praxis mit sich bringen. Kalmbach berichtete von den Erfahrungen ihres Hauses in der Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen und weiß: „Die Ziellogiken von Wissenschaft und Museen bei partizipativen Forschungsprojekten können natürlich gestreamlined sein, sind es es aber eben nicht automatisch. Man muss daher offen über die gewünschten Ziele sprechen, da sich die Institutionenlogiken unterscheiden“. Insbesondere wenn Veranstaltungen für Besucher*innen in Forschungsprozessen genutzt werden, sind demnach Übersetzungsleistungen gefragt: Wo die eine Partei auf kreative Freude am (im besten Fall wiederholten) Besuch und einen Lerneffekt bei Besucher*innen abzielt, fragt die andere Partei: Was hat das an neuen Perspektiven für die Forschung gebracht? Die Diskussion verweist damit auch auf ein grundsätzliches Dilemma der Eventisierung in der Kommunikation von Wissenschaft.
Wege der Institutionalisierung partizipativer und transdisziplinärer Forschung
Im Laufe der weiteren Diskussion wurden von den Panelistinnen dann vor allem institutionalisierte Ansätze stark gemacht: Masterstudiengänge oder Graduiertenkollegs könnten die verschiedenen Spielarten des partizipativen oder transdisziplinären Forschens von Beginn an in Wissenschaftskarrieren etablieren. Kompetenzen würden geschult und der ‚Methodenkoffer‘ von Forschenden wie selbstverständlich erweitert. Daneben könnten micro-credentials (zusätzliche Bildungsnachweise) in die bestehende Lehre eingebaut werden oder gesellschaftliche Akteur*innen über spezifische Formate in die Kurse geholt werden. Auch die kleinen Schritte seien wichtig, so dass insgesamt transdisziplinäre und partizipative Forschung als reale Option im Kriterienkatalog von Wissenschaftler*innen Platz finden könnten.
Die Sprecherinnen zeigten zudem Möglichkeiten für Unterstützungsstrukturen im weitesten Sinne auf. Institutionelle Strukturen mit Willigen innerhalb der eigenen Hochschule seien ein guter Anfang. Zugleich müsse man ran an eine neue Governance – genauso wie bei anderen Querschnittsthemen wie Nachhaltigkeit oder Gleichstellung auch – und Entscheidungen für strukturfördernde Maßnahmen vorantreiben. Das bedeute, Systeme zu etablieren, die Karrieremöglichkeiten schaffen, etwa indem die Bewertung von relevanten Fähigkeiten und die Bewertung durch ausgewiesene Gutachtende für das kollaborative Forschen die Reputationslogiken veränderten. Förderer könnten (Frei-)Räume für partizipatives und transdisziplinäres Forschen schaffen, die nicht nur Wissenschaftler*innen, sondern auch außerwissenschaftliche Co-Forschende aktiv stärkt. Hochschulinterne Fonds für eine Anschubfinanzierung zur Stärkung der Sichtbarkeit seien essentiell. Kurz: Die Panelistinnen zeigten nicht mehr und nicht weniger die Notwendigkeit der Transformation der akademischen Kultur auf.
Die Chance von Reflexion der wissenschaftlichen Rolle
So weit so gut. Aber: „Wer steht hier eigentlich auf der Bremse?“, fragt Wiarda, und ob das weibliche Panel mehr als bloßer Zufall sei in einem hoch-kompetitiven System. Auf eine Genderzuschreibung des partizipativen und transdisziplinären Forschens will sich von den Panelistinnen niemand so recht einlassen, zumindest nicht defizitär. Frauen hätten vielleicht einfach den besonderen Mut, den es für unkonventionelle Wege brauche, so Kalmbach. Stattdessen waren sich alle einig, dass das Engagement für die Transformation in der Forschung – auch karrierebezogen – lohnenswert war. Dennoch waren sich die Panelistinnen der Spannungslage bewusst: Wer partizipativ oder transdisziplinär forscht, brauche mehr Zeit und habe folglich weniger Zeit für anderes. Sicherlich müssten Wissenschaftler*innen in der Etablierungsphase ihre Prioritäten gut überdenken. Und zugleich betonten die Sprecherinnen die Vorteile des kollaborativen Arbeitens, der zunehmenden Etablierung des Feldes und gute Fortschritte in der Verankerung von Strukturen, die partizipatives und transdisziplinäres Forschen unterstützen. „Jemand muss es auch machen“, schlussfolgert Maasen.
„Wir brauchen mehr Mut zur Normativität. Jede*r Wissenschaftler*innen sollte sich fragen: ‚Wofür stehe ich?‘“
Prof. Dr. Julia Wittmayer, Dutch Research Institute for Transitions, Erasmus University Rotterdam
Doch wie kann man Gegenwind begegnen, wenn Appelle sich stärker disziplinäre Forschung und die direkte Umsetzung in wirtschaftlichen Erfolg wünschen? Kalmbach betont, dass sie anhand der hohen Besucher*innenzahlen im Futurium ein enormes Interesse an Transformationsthemen wahrnehme. Zudem zeige sich deren Relevanz auch in der hohen Nachfrage durch individuelle Forschende sowie Organisationen, sich am Austausch mit der Gesellschaft zu beteiligen. Mehrfach wird an dem Abend über bottom-up- und top-down-Ansätze der Institutionalisierung von partizipativer und transdisziplinärer Forschung gesprochen. Wittmayer verweist darauf, dass die Verankerung in politischen Prozessen noch nicht erreicht sei und es Ziel sein müsse, die Willigen zu verbinden. Sie fordert weiter: „Wir brauchen mehr Mut zur Normativität. Jede*r Wissenschaftler*innen sollte sich fragen: ‚Wofür stehe ich?‘“ und damit die eigene Positionierung und Relevanz verdeutlichen.
„Wissenschaft wird reflexiver als je zuvor.“
Prof. Dr. Sabine Maasen, Direktorin der TransferAgentur, Universität Hamburg
Bei Mut und Gestaltungslust hört dieses Panel also nicht auf. Die Expertinnen beschreiben den Bedarf nach einem reflexiven Monitoring: Die eigene Forschung mit einer Begleitstudie oder mit Reflexionsschleifen kritisch zu beobachten, scheint das Gebot der Stunde. Während die Wirkungsmessung immer stärker gefordert werde, warnten Kottmann und auch die anderen Panelistinnen davor, rein in klassischen quantitativen Metriken zu verharren. Eine Standardlösung sei hier noch nicht entwickelt: „Wir stehen vor einer Antwort“, betont Kottmann. Immer wieder müssten sich Projekte selbst fragen, wohin sie steuern wollten, so auch Maasen. Societal Impact Stories könnten ein Ansatzpunkt sein, aber die Forschung müsse ihre Ziele und Wirkungsorientierung selbst entwickeln. Das könnte für Zuhörer*innen klingen, als ob eine zusätzliche Aufgabe angedroht wird – was Wissenschaftler*innen noch alles leisten sollen. Doch die Reflexion wird positiv als Chance beschrieben: „Wissenschaft wird reflexiver als je zuvor“, sagt Maasen und es klingt wie ein schönes Versprechen. Die Transformation als ein Prozess, an dem alle wachsen dürfen.
Bis zum 14.8.2025 ist ein Mitschnitt der Veranstaltung hier verfügbar.