Wer spricht und wer wird gehört?
Prof. Dr. Meike Hopp berichtet, wie in dem Projekt „Museen und Gesellschaft – Kartierung des Sozialen“ erforscht wird, inwiefern Museen Orte der Verständigung und des Austausches sind.
29.09.2022
Das Projekt „Museums and Society – Mapping the social“ wird von der Berlin University Alliance (BUA) gefördert und gehört zu der Grand Challenge Initiative „Social Cohesion“ der BUA. Das Forschungsvorhaben analysiert die Beziehung zwischen Museum und Gesellschaft, untersucht anhand von vier Fallstudien wie zugänglich, divers, inklusiv, transparent und nachhaltig Museen sind, welche Sichtweisen privilegiert, marginalisiert oder gar nicht thematisiert werden, also ob Museen Orte des sozialen Zusammenhalts, des Austausches und der Verständigung sind.
Das Projekt „Museums and Society – Mapping the social“ analysiert die Beziehung zwischen Museum und Gesellschaft.
Bildquelle: Thomas Rosenthal
„Wollen die Museen in Deutschland als Orte des gesellschaftlichen Austausches fungieren, müssen sie sich und ihre Depots öffnen und Informationen darüber, welche Objekte sich dort befinden, woher sie stammen und wie sie das Museum erworben hat, zugänglich machen.“ So lautet einer der Befunde von Prof. Dr. Meike Hopp aus ihren Untersuchungen in dem Projekt „Museums and Society – Mapping the social“ („Museen und Gesellschaft – Kartierung des Sozialen“). Die Kunsthistorikerin, Archäologin und Leiterin des Fachgebietes Digitale Provenienzforschung an der TU Berlin beschäftigt sich mit Kulturgütern, die während der NS-Zeit den jüdischen Eigentümern abgepresst und geraubt wurden. Es wäre ein wichtiger Schritt der Museen gegenüber den jüdischen Hinterbliebenen des NS-Terrors, Transparenz zu signalisieren und sich als Ansprechpartner erkennen zu geben, so Hopp.
Provenienzforschung im Verborgenen
„Auf dem Gebiet der NS-Provenienzforschung können wir beispielweise beobachten, dass das Wissen, das auf diesem Gebiet in den vergangenen 20 Jahren erhoben worden ist, nicht immer transparent gehandhabt wird. Vielfach führen Museen Provenienzforschung mehr oder weniger im Verborgenen durch, für die Betroffenen nicht nachvollziehbar, wodurch erneut Herrschaftswissen generiert wird, mit dem dann die Betroffenen quasi überrumpelt werden“, so Meike Hopp. Wichtig aber wäre, dass die Museen nach außen offen kommunizieren, dass diese Forschung bei ihnen stattfindet und man sich an sie wenden kann. „So könnte ein Dialog mit den Nachfahren in Gang gesetzt werden, der aufschlussreiche Informationen geben könnte zur Geschichte der Objekte. Familiäre Erinnerungen, Dokumente, die letzte Zeitzeugenschaft – das bleibt in diesem bisher sehr einseitig durchgeführten Prozess der Provenienzforschung unberücksichtigt und ist sowohl für die Forschung eine vertane Chance als auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, weil er die Nachfahren der vom Holocaust Betroffenen ausschließt und ein gemeinsames Erinnern nicht zulässt“, sagt Meike Hopp.
Die Digitalisierung ist kein neutraler Prozess
Welche sozialen Ausschlüsse Museen auch durch die Digitalisierung produzieren, dieser Frage geht unter anderem die Fallstudie „Digitale Bilderwelten“ in dem BUA-Projekt nach. „Wir stellen vor allem Annahmen wie die, dass die Digitalisierung uneingeschränkt neue Zugänge schafft, in Frage“, sagt Meike Hopp. Ein nicht-technikaffines Publikum, Menschen, die sich die dafür notwendigen Geräte nicht leisten können, aber auch seh- und hörbehinderte Menschen profitierten von einem virtuellen Museumsrundgang nicht. Zudem sei der Umgang mit den von den Museen genutzten Plattformen wie Facebook und Instagram kritisch zu sehen. Es sei einerseits zu untersuchen, wie die bei einem digitalen Museumsbesuch hinterlassenen Daten von den Plattformen kommerziell weitergenutzt werden, und andererseits, ob die aus den Daten produzierten Algorithmen ein diverses Publikum adressieren. Ob sie zum Beispiel auch Interessen der LGBTQ+ Community berücksichtigen, ein globales Publikum ansprechen oder weiterhin den Geschmack eines privilegierten westlichen Publikums bedienen, so Meike Hopp. „Dr. Lukas Fuchsgruber, der diesen Teilbereich leitet und am Fachgebiet Kunstgeschichte der Moderne der TU Berlin forscht, zeigt auf, dass die Digitalisierung und Verdatung von musealen Objekten kein neutraler Prozess ist. Bereits der Auswahl der Objekte oder genutzten Plattformen liegen Priorisierungen zugrunde, die ebenso kritisch betrachtet werden müssen, wie die Tools für Besucher*innen, die in Museen häufig spielerisch genutzt werden, zum Beispiel Dating-Apps für Gemälde oder ähnliches. Diese schöpfen ihr Potenzial für gesellschaftskritische Fragen nicht aus, sondern bedienen häufig Stereotype, zumal die Besucher*innen gar nicht nachvollziehen, wie die Tools Daten generieren“, erläutert Meike Hopp.
Indigene Bezeichnungen oder koloniales Vokabular
So ist mit der Digitalisierung auch das Problem verknüpft, wie das Museum zu dekolonisieren ist: Welche Begrifflichkeiten oder Namen werden zum Beispiel bei der Beschreibung der Herkunftsorte und -regionen von Objekten verwendet? Sind es indigene Bezeichnungen oder sind es die Namen, die die Kolonialmächte einst festschrieben, die folglich für Genozide, Gewalt und Unterdrückung stehen, oder benutzt man neutrale geografische Beschreibungen? Werden Objekt-Datenbanken produziert, sind diese Fragen kritisch zu reflektieren, da sonst unablässig Rassismen reproduziert werden, die sich in die Objekte einschreiben.
„Museen als Labor“ ist die zweite Fallstudie. Dr. Roos Hopman vom Museum für Naturkunde vergleicht Museen mit großen Datenzentren, wobei sich vieles um Fragen der Geschwindigkeit dreht. Während sich mit der zunehmenden Abhängigkeit von digitalen Technologien alle Aspekte des Lebens beschleunigen, sind Museen nicht als Orte bekannt, an denen Dinge „schnell“ passieren, eher scheinen sie hinterherzuhinken. Am Beispiel des Naturkundemuseums – das auch Projektpartner ist – untersucht sie unter anderem wie (Arbeits-)Prozesse der Digitalisierung ablaufen und wie humane und technologische Ressourcen zusammenhängen. So haben Museen auch im innerbetrieblichen Bereich Verantwortung für den sozialen Zusammenhalt, bei der nachhaltigen Planung personeller Ressourcen und der Strukturierung der Abläufe.
Die Fallstudie „Umwelten“ untersucht: Wie agieren Museen als Orte und Akteure in der Stadtgesellschaft und im globalen Geflecht ökologischer, sozialer und politischer Beziehungen? Dr. Mareike Vennen vom Fachgebiet Kunstgeschichte der Moderne der TU Berlin rekonstruiert hierfür ehemalige Sammelpraxen im Feld und im Museum, vor allem auf Basis der Netzwerke zwischen der chemischen Industrie und musealen Institutionen sowie des dort eingesetzten „Umweltwissens“, das sich auf Tiere und Pflanzen und auf chemische Verbindungen bezog und wissenschaftlich-politische Konstrukte wie den „Schädling“ prägte. Das Bewusstsein für derlei begrifflich und materiell kontaminiertes Erbe beeinflusst bis heute die sozialen Beziehungen zwischen Menschen und Dingen.
Aufforderung zum Nachdenken
Die vierte Fallstudie „Affekträume“ widmet sich der Rolle von Emotionen und Affekten während eines Museumsbesuchs und ob Museen das gegenseitige Verständnis und Verbindungen zwischen verschiedenen ethnischen, religiösen oder sprachlichen Gemeinschaften fördern. Ranjamrittika Bhowmik geht am Institut für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin diesen Fragen nach. Anhand verschiedener historischer Objektsammlungen aus Süd- und Zentralasien, die die Verbreitung des Buddhismus von Indien nach Asien nachzeichnen und im Museum für Asiatische Kunst in Berlin ausgestellt sind, befragt sie Seh- und Wahrnehmungsgewohnheiten eines möglichst diversen Publikums, wobei dieses aufgefordert ist, über ein Konzept von kultureller Identität und Geschichte nachzudenken, das kulturelle Grenzen als unscharf und fluide betrachtet und damit die Homogenität in der Wahrnehmung von Kultur in Frage stellt. Indem sie sich auf die Affekte ausgestellter historischer Narrative einlassen, werden die Besucher*innen zu Mitgestalter*innen neuer Erzählungen und Räume des sozialen Zusammenhalts.
Erwünscht: der kritische Blick des kritischen Beirats
Ein Markenzeichen des BUA-Projektes ist es, nicht nur gesellschaftliche Annahmen machtkritisch zu hinterfragen, „sondern auch die eigene Forschungsarbeit immer wieder dahingehend auf den Prüfstand zu stellen, ob die Forschungsfragen überhaupt soziale Relevanz haben und auch wirklich die Menschen ansprechen, die wir als Forschende im Blick haben. Auch sollen Diskriminierungen vermieden und die problematischen Bedeutungsdimensionen von ‚sozialem Zusammenhalt‘ reflektiert und gemeinsam an einem Konzept für ein nachhaltiges, solidarisches Museum geforscht werden,“, erklärt Meike Hopp. Deshalb arbeitet das Projektteam von Berlin University Alliance, HU Berlin, TU Berlin, dem Museum für Naturkunde und dem Institut für Museumsforschung mit einem kritischen Beirat zusammen. In ihm sind Expert*innen zu den Themen kritische Digitalisierung, Intersektionalität, Klassismus, Behinderung von Menschen, Dekolonisierung und Institutionskritik versammelt.