„Zeit für Prioritäten“
Dr. Anna Kuhlen, Postdoktorandin in Psychologie an der Humboldt-Universität zu Berlin, spricht über den Career Development Award und ihr Forschungssemester
02.02.2022
Dr. Anna Kuhlen, Preisträgerin von der Humboldt-Universität zu Berlin (Institut für Psychologie)
Bildquelle: privat
Ein Semester lang schreiben, forschen, reflektieren. Dabei Lehre und den Universitätsalltag außen vor lassen. Das ermöglicht der Career Development Award der Berlin University Alliance. In einem Forschungssemester können Postdoktorand*innen der Verbundpartnerinnen unter Fortzahlung des Gehalts ein frei gewähltes Projekt bearbeiten, das eigene Forschungsprofil schärfen und so ihre wissenschaftliche Karriere voranbringen.
Eine der ersten elf geförderten Postdoktorand*innen ist Anna Kuhlen. Sie ist seit 2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Neurokognitive Psychologie der Humboldt-Universität zu Berlin. Nach einem Psychologiediplom an der Humboldt-Universität promovierte sie an der Stony Brook University in New York und war Fellow an der Berlin School of Mind and Brain. In ihrer Forschung beschäftigt sich Anna Kuhlen mit den kognitiven und neuronalen Prozessen, die beim Sprechen und Zuhören stattfinden. Sie kombiniert dabei Theorien der Psycholinguistik und der Sozialpsychologie mit Methoden der kognitiven Neurowissenschaften.
Frau Kuhlen, Sie sind jetzt mitten in Ihrem Forschungssemester. Wie ist Ihre Erfahrung bisher?
Für mich ist das eine super Gelegenheit, die genau zur richtigen Zeit kam. In den letzten sechs Jahren als Postdoc habe ich intensiv erforscht, wie unser Gehirn es schafft, zwischenmenschliche Kommunikation – Sprache, Mimik, Gestik – zu verarbeiten. Ich habe in zwei Arbeitsgruppen gearbeitet, zahlreiche Versuche durchgeführt und Paper veröffentlicht. Nun stehe ich an einem Punkt, an dem ich die letzten Jahre reflektiere und neue Schwerpunkte für die Zukunft setzen möchte – sowohl in der Forschung als auch für meine wissenschaftliche Karriere. Und der Career Development Award gibt mir die zeitlichen und mentalen Freiräume, die ich dafür benötige.
Wie sah das konkret aus?
Mein Fokus im Herbst waren zunächst Vorträge und Konferenzen. Der Plan war eigentlich, in die USA zu reisen, dort Vorträge zu halten und mit Kolleginnen und Kollegen in den Austausch zu gehen. Aufgrund der Pandemie wurde aus der Reise leider nichts, aber ich konnte auch digital, von Berlin aus, die Vorträge halten und die Konferenz der Psychonomic Society besuchen. Dabei wurde mir nochmal klarer, welchen Beitrag meine Forschung zum Thema neurokognitiven Mechanismen von Kommunikation geleistet hat und wo für mich noch spannende Fragen sind, die ich erforschen möchte. Zum Beispiel, wie man meine Erkenntnisse zur Entwicklung sozial intelligenter Roboter nutzen kann.
Und was planen Sie noch für das Semester?
Mit diesen Impulsen und neuen Ideen werde ich jetzt meine Habilitationsschrift fertigschreiben. Ich möchte in der Forschung bleiben und da ist die Berufung auf eine Professur nun der nächste Schritt für meine wissenschaftliche Karriere. Da ich dieses – wegen der Pandemie schwierige – Semester nicht in die Lehre eingebunden bin, kann ich mich voll auf dieses Projekt konzentrieren.
Wie sieht denn normalerweise ein Semester bei Ihnen aus?
Im Wintersemester steht bei mir üblicherweise eine Vorlesung für Bachelorstudierende an. Außerdem biete ich meistens ein Master-Seminar an und betreue Abschlussarbeiten. Dadurch haben die Semesterwochen einen gewissen Rhythmus. Ich bereite die Vorlesungen und Seminare vor und nach, biete Sprechstunden an, korrigiere und bewerte Arbeiten und stehe im ständigen Austausch mit den Studierenden. Lehre macht mir unheimlich Spaß und das will ich auch nicht missen. Aber gerade, weil ich das so gerne mache, nimmt es auch durchaus Zeit in Anspruch. Besonders in den letzten beiden Semestern, die von der Pandemie geprägt waren und für die Studierenden und Lehrenden besonders schwierig waren. Zusätzlich ist man natürlich im Institut, in der Fakultät und am Lehrstuhl in zahlreiche administrative Aufgaben eingebunden, nimmt an Meetings teil, führt Einstellungsgespräche und hält das Team am Laufen. Da muss man manchmal bewusst Zeit für die Forschung freischaufeln.
Wo sehen Sie allgemein die Herausforderungen für Postdoktorand*innen?
Die größte Herausforderung als Postdoc sehe ich darin, die richtigen Prioritäten zu setzen. Die Anforderungen sind vielfältig – genauso aber auch die Möglichkeiten. Dinge oder Projekte, die man machen könnte, gehen einem nie aus. Um ein Profil als Forscherin und Lehrende aufzubauen und bestimmte Ziele zu erreichen, muss man allerdings stark darauf achten, mit welchen Tätigkeiten man die Arbeitstage und -wochen verbringt. Klar, man könnte zum Beispiel mehr Zeit mit Lehre verbringen und mir würde das auch sehr viel Freude bereiten. Wenn man bestimmte berufliche Ziele erreichen möchte, wird man auf dem Weg dahin allerdings nach der Forschung beurteilt. Daher versuche ich immer wieder im Arbeitsalltag zu reflektieren, welche Tätigkeiten eigentlich wirklich wichtig sind und welche nicht.
Neben diesen alltäglichen Dingen ist natürlich die prekäre Perspektive, die man als Postdoc hat, eine Herausforderung. Man ist einen recht langen Zeitraum seines Lebens beruflich noch nicht fest verankert und ist immer wieder damit konfrontiert, die nächsten Schritte planen zu müssen. Man weiß nicht, in welcher Position man arbeiten und in welcher Stadt, in welchem Land man die nächsten vier, fünf Jahre leben wird. Da muss man sein Lebenskonzept so strukturieren, dass man es schafft, mit dieser Unsicherheit zu leben. Hier würde ich mir wünschen, dass die akademische Laufbahn planbarer wird.
Und tatsächlich war es so, dass schon die Bewerbung zum Award dabei geholfen hat, die eigenen Prioritäten nochmal zu schärfen und ich nun Zeit habe, mich auf diese Prioritäten zu fokussieren.
Was raten Sie Postdoktorand*innen, die sich auf einen Career Development Award bewerben möchten?
Das würde ich auch als Tipp geben: Die Bewerbung zu nutzen, um die eigenen Prioritäten ehrlich zu reflektieren. Welches Profil möchte ich als Forscherin oder Forscher haben? Was wäre jetzt das Wichtigste für meine berufliche Entwicklung? Welches Ziel kann ich in einem halben Jahr realistisch erreichen? Das kann für jede und jeden sehr individuell sein. Und während des Forschungssemesters selbst wird man – auch nach Corona – feststellen, dass nicht alles nach Plan läuft. Sich eine gewisse Flexibilität einzuräumen und einen Plan B bereitzuhaben, hilft auf jeden Fall auch!
Derzeit läuft die zweite Ausschreibung für die Career Development Awards und eine Förderung im Wintersemester 2022/23. Die Bewerbungsfrist ist der 9. März 2022. Alle Informationen und Ausschreibungsunterlagen finden Sie auf der Ausschreibungsseite.