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Warum nicht Lernen mit Forschen verbinden?

Mit dem Student Research Opportunities Programx – kurz: „StuROPx“ – bietet die Berlin University Alliance zwei Formate an, bei denen Studierende in die Forschung eingebunden sind – mit eigenen Projekten.

29.09.2021

Studierende unterwegs auf der Brache „Nasses Dreieck“ in Pankow für das X-Tutorial „Der Berliner Mauer(Rad)weg“.

Studierende unterwegs auf der Brache „Nasses Dreieck“ in Pankow für das X-Tutorial „Der Berliner Mauer(Rad)weg“.
Bildquelle: Helen Haserodt

Der Erfolg der Berliner Universitäten in der Exzellenzstrategie von Bund und Ländern ist toll für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – aber was haben wir eigentlich davon? Das fragten sich viele Studierende. Die Berlin University Alliance (BUA) bietet nun seit dem Sommersemester 2021 zwei neuartige Konzepte an, um die Verbindung zwischen Forschung und Lehre zu stärken: X-Tutorials und X-Student Research Groups.

Bei den X-Tutorials können jeweils zwei Studierende ein selbstgewähltes Forschungsprojekt beantragen, dass sie gemeinsam mit anderen Studierenden über bis zu zwei Semester umsetzen. Die Projektleiterinnen und Projektleiter bekommen dazu Tutorienstellen, die Teilnehmenden Leistungspunkte. „Studierende haben oft sehr unkonventionelle Zugänge zu Themen, was sehr erfrischend ist“, sagt Nina Lorkowski, die StuROPx gemeinsam mit ihrer Kollegin Julia Rueß im Bereich Teaching and Learning koordiniert. „Die X-Tutorials sollen Freiräume schaffen, innovative Projekte anzugehen, und die Tutorinnen und Tutoren dabei erste Erfahrungen in Lehre und Projektorganisation sammeln.“ Ganz im Sinne des Verbundgedankens können die Studierenden dabei unkompliziert an Projekten aller vier BUA-Partnerinnen teilnehmen – Freie Universität Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin, Technische Universität Berlin und Charité – Universitätsmedizin Berlin.

Die Projektteilnehmenden auf der Mauerweg-Radtour.

Die Projektteilnehmenden auf der Mauerweg-Radtour.
Bildquelle: Pia Rafalski

Die Projektideen entstehen nicht selten aus einer zwanglosen Plauderei heraus – so wie bei Pia Rafalski und ihrer Co-Tutorin Flora Rogin. Beide studieren Historische Urbanistik an der Technischen Universität Berlin. „Wir saßen abends in der WG und sprachen über unser Studium, als unsere Institutsleiterin uns die Mail zu den X-Tutorials weiterleitete“, erzählt Pia Rafalski. „Wir interessieren uns beide für den Umgang mit baukulturellem Erbe und stellten nach kurzer Recherche fest, dass der Berliner Mauer-Radweg ein spannendes Thema wäre, zu dem bisher wenig geforscht wurde.“

Nach einem Jahr Corona-bedingtem Online-Studium schien es zudem eine glänzende Idee zu sein, endlich mal wieder mit einer Gruppe „live“ zu arbeiten. Den Forschungsgegenstand regelrecht zu „erfahren“, indem man den Mauerweg gemeinsam entlang radelt und dabei konkrete Projekte für Kleingruppen sondiert.

Das überzeugte auch die Gutachterinnen und Gutachter – zumal die Teilnehmenden aus ganz unterschiedlichen Studiengängen kommen: von Urbanistik, Stadtökologie, Geographie, Stadtplanung, Kulturwissenschaften bis hin zur Landschaftsarchitektur. „Manche sind dabei, um ihr eigenes Fach zu vertiefen. Andere, um mal darüber hinaus zu sehen“, sagt Pia Rafalski. Am Anfang gab es zwei gemeinsame Fahrradtouren – im Norden vom Tegeler Fließ bis zur Wollankstraße und im Süden Richtung Teltow-Seehof. Alles Weitere wurde in Online-Gesprächsrunden diskutiert.

Die Brache „Nasses Dreieck“ in Pankow war Teil des Projekts.

Die Brache „Nasses Dreieck“ in Pankow war Teil des Projekts.
Bildquelle: Ronny Roberts

Auf der nördlichen Tour streift der Mauerradweg das sogenannte Grüne Band Berlin, ein Grünstreifen, wo vorher viele artenreichere Brachen waren, betont Pia Rafalski. „Eine Gruppe untersucht in noch vorhandenen Brachen die Sukzession – also die Rückkehr, der für den Standort natürlichen Pflanzen- und Tierwelt. Ein zweites Team erkundet die dortigen Klanglandschaften.“ Mit Aufnahmen der „Soundscapes“ zu verschiedenen Tageszeiten und unterschiedlichen Wetterbedingungen, wollen die Jungforscherinnen und -forscher die Besonderheit der Orte erfassen und dokumentieren. Eine dritte Gruppe macht in Teltow-Seehof eine „teilnehmende Beobachtung“, sieht sich die unterschiedlichen Mobilitäts- und Erinnerungskulturen an und befragt die Menschen unterwegs, aus welchem Anlass sie den Weg nutzen.

Beide Tutorinnen sind auch selbst in den Kleingruppen aktiv am Forschen. Was zieht Pia Rafalski für sich persönlich aus dem Tutorium? „Es ist eine tolle Erfahrung, mit Studierenden aus so vielen Disziplinen zusammenzuarbeiten. Man erhält viele spannende Einblicke, kann sich über die verschiedenen Methoden in den Fächern austauschen und das Gespräch findet immer auf Augenhöhe statt.“ Außerdem lassen sich Job und Studium gut verbinden. Die Urbanistin schreibt gerade eine Hausarbeit über das Brachenprojekt und kann sich vorstellen, dass der Mauer-Radweg ihr Master-Thema wird.

X-Tutorin und X-Tutor kann werden, wer das dritte Fachsemester hinter sich hat. Um X-Student Research Group Leader zu werden, muss man schon weiter sein. So wie Benjamin Wilck, der am Institut für Philosophie der Humboldt-Universität zu Berlin (Research Training Group Philosophy, Science and the Sciences) über die Philosophie der Mathematik promoviert. Gemeinsam mit Ivan Nenchev, Assistenzarzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig-Krankenhaus, beantragte er ein Lehrforschungsprojekt zum Thema „Schizophrenie und bildhafte Sprache“. Beide sind seit Jahren gute Freunde und diskutieren viel über ihre Arbeit. „Schizophrenie interessiert mich schon lange – aus wissenschaftstheoretischer Sicht. Denn als Philosoph hinterfrage ich die Grundlagen einer Wissenschaft: Sind die Definitionen konsistent miteinander – und mit den Beispielen? Welche Hintergrundannahmen macht eine Theorie, ohne dass sie explizit aufgestellt sind?“, erzählt Benjamin Wilck.

Dr. Ivan Nenchev (links) und Benjamin Wilck (rechts)

Dr. Ivan Nenchev (links) und Benjamin Wilck (rechts)
Bildquelle: privat

Menschen mit Schizophrenie können in der Regel Emojis nicht deuten. Sie nehmen Ironie nicht wahr, dafür aber bildhafte Ausdrücke für bare Münze. Fragt man sie zum Beispiel, was der Ausdruck „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“ bedeutet, kommt meist als Antwort: „Na, der Apfel liegt ganz nah am Baum“. Dieses Phänomen nennen Psychiater „Konkretismus“. Benjamin Wilck und Ivan Nenchev lasen sämtliche Publikationen zu den entsprechenden Tests und stellten fest, dass sie logische Fehler und inkonsistente Hintergrundannahmen über das Verstehen bildhafter Sprache enthielten.

Konkretismus wurde erstmals in den 1930er Jahren beobachtet und wird seit den 1950er Jahren wissenschaftlich erforscht. „Seither wurden die Studien immer komplexer, doch sie beruhen noch immer auf den gleichen Grundannahmen – und diese sind falsch“, sagt Benjamin Wilck. Man setzte nämlich unter anderem voraus, dass gesunde Menschen Metaphern und Ironie intuitiv erkennen. „Das würde im Umkehrschluss heißen: Menschen, die das nicht können, sind nicht gesund.“ Konkretismus ist aber nur ein Symptom von Schizophrenie und nicht hinreichend für die Diagnose.

Gemeinsam mit 15 Studierenden aus Medizin, Psychologie, Linguistik, Literatur- und Kunstwissenschaft diskutierten die beiden Gruppenleiter solche Diskrepanzen und entwarfen kleine neue Experimente, die sie dann an einer Gruppe von Gesunden testeten. Zu ihrem Seminar hatten sie eine Kollegin aus dem Bereich „Medical Humanities“ von der University of Cambridge eingeladen. „Nun wurde uns von Cambridge eine Kooperation vorgeschlagen! Das wäre ohne StuROPx gar nicht entstanden“, freut sich Benjamin Wilck.

Was bringt ihm selbst das Projekt? Ähnlich wie Pia Rafalski, schätzt auch Benjamin Wilck den Input verschiedener Disziplinen. „An meinem Institut gibt es zwar Philosophiestudierende, die sehr scharfsinnig über Metaphern nachdenken könnten“, sagt er, „aber ein kritischer Austausch mit Studierenden und Forschenden anderer Disziplinen bleibt dabei aus“. Interessant sei auch das fachliche Spannungsverhältnis der beiden Seminarleiter. „Weil wir uns gut kennen, läuft es sehr gut. Aber normalerweise kann ein Arzt die Kritik eines Philosophen kaum nachvollziehen, weil das Medizinstudium keine Logikseminare beinhaltet.“

Nach welchen Kriterien sucht die Auswahlkommission die Projekte aus? „Im Fokus steht die Forschung. Gefördert werden nicht Seminare zu einem Thema, sondern Forschungsprojekte mit Studierenden. Daneben spielen auch interdisziplinäre und originelle Herangehensweisen an ein Thema eine Rolle. Und wir achten darauf, dass es tatsächlich eigene Ideen sind – und nicht eine Professorin oder ein Professor dahinter steckt“, sagt Nina Lorkowski. Für die Leitung beider Formate gibt es jeweils eigene Fortbildungen zum „Forschenden Lernen“, um sie bestens zu qualifizieren.

X-Tutorials und 16 X-Student Research Groups wurden im ersten Durchgang gefördert. Schon beim ersten Mal gab es viel mehr Anträge als Plätze. Kein Wunder, denn der Gedanke hinter StuROPx ist so simpel wie sinnig: Studierende sollen nicht aus Forschung lernen, sondern an Forschung teilnehmen, nicht nur zuarbeiten, sondern alle Phasen eines Forschungsprozesses selbst durchlaufen und in die Entwicklung von Teilfragen eingebunden sein. So wird Forschungskompetenz frühzeitig gefördert.

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