„Lernen ist ein Teamsport“
Kreative Konzepte zur Verbesserung der Lehre in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche wurden auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Hochschuldidaktik (dghd) diskutiert – die erstmals in ihrer fast 50-jährigen Geschichte online stattfand
17.03.2020
Lehre stärker als Gemeinschaftsaufgabe zu begreifen, war das Schwerpunktthema der dghd-Tagung.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher
Früher sahen Studierende ihre Professorinnen und Professoren oft nur von hinten. Die Lehrkräfte redeten und beschrieben dabei gleichzeitig die Tafel, so dass sie dem Auditorium die meiste Zeit den Rücken zuwandten. Auch heute gibt es noch solche Seminare, dabei weiß man mittlerweile sehr viel mehr darüber, wie Lehren und Lernen ganz anders gestaltet werden kann. „Wir lernen besser, wenn wir in Lehrveranstaltungen eine aktive Rolle haben, statt nur mitzuschreiben“, sagte Luca Lil Wirth, die am Fachbereich für Philosophie und Geisteswissenschaften der Freien Universität Berlin studiert. Im Rahmen der 49. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Hochschuldidaktik (dghd) diskutierte sie mit Francis Jones, Geophysiker an der University of British Columbia, und der Erziehungswissenschaftlerin Mandy Singer-Brodowski von der Freie Universität Berlin darüber, wie man innovative Lern- und Lehrformate stärker in den jeweiligen Fachbereichen verankern kann.
Gemeinsam mit der Moderatorin Cynthia Heiner saßen sie vor einer Webcam. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung konnten in den Onlineraum eintreten und sich im Chat beteiligen. Immer wieder legten die Rednerinnen und der Redner kurze Pausen ein, damit sich die Zuschauerinnen und Zuschauer auf diese Weise mit Fragen und Anregungen einbringen konnten.
Lehre stärker als Gemeinschaftsaufgabe zu begreifen, war das Schwerpunktthema der dghd-Tagung vom 10. bis 13. März. Sie wurde von der Berlin University Alliance in Kooperation mit dem Berliner Zentrum für Hochschullehre ausgerichtet. Die Tagung hätte eigentlich auf dem Campus der Freien Universität Berlin stattfinden sollen. Aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus wurde sie zu einer Online-Tagung. Innerhalb kurzer Zeit wurden die dafür nötigen technischen Voraussetzungen geschaffen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer blieben zu Hause, konnten aber einen Großteil der Vorträge und Symposien live über die AdobeConnect-Plattform des Deutschen Forschungsnetzes (DFN) im Internet verfolgen und sich per Chat beteiligen. Aus dghd2020 wurde digi_hd2020.
Die Tagung wurde aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus online durchgeführt.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher
Luca Lil Wirth war zum Symposium eingeladen worden, um das Thema „kooperativer und integrativer Bildungspraktiken“ aus Sicht der Studierenden zu beleuchten. Ein positives Signal – denn, dass diese in Fragen der Lehre einbezogen werden, ist bisher nicht selbstverständlich. Die Literaturstudentin wünschte sich, dass Professorinnen und Professoren zu Beginn ihrer Lehrveranstaltungen gezielt nach den Erwartungen der Studierenden fragen: Was wollt ihr lernen und wie wollt ihr es lernen?
„Wir wissen heute sehr viel besser, was im Gehirn passiert, wenn wir lernen“, sagte Gastredner Francis Jones. „Lehrende sollten darüber informiert sein.“ Diesen fehle es aber häufig an Zeit und Fachwissen zur Umsetzung von Bildungsinnovationen. An US-amerikanischen Universitäten gibt es deshalb seit einigen Jahren einen neuen Beruf, den Jones näher vorstellte. Als Bildungsspezialist (Discipline-Based Education Specialist) ist er dafür zuständig, die Lehrkräfte seines Fachbereichs in aktuelle evidenzbasierte Lehrmethoden einzuführen. Er ist damit einerseits Experte auf seinem wissenschaftlichen Gebiet – der Geophysik –, gleichzeitig aber auch Fachmann für dessen Vermittlung.
„Lehrende sind Wegbereiter und Coaches.“ Mandy Singer-Brodowski
Lehrformate jenseits des Frontalunterrichts, deren Wirksamkeit durch empirische Untersuchungen belegt sind, hätten die Lehrkultur an seiner Universität entschieden verbessert. Im „Active Classroom“ sei alles auf den bestmöglichen Lernerfolg der Studierenden ausgerichtet. Dazu gehört zum Beispiel, dass diese untereinander über den Stoff diskutieren (peer-supported-learning), Expertinnen und Experten mit Anfängerinnen und Anfängern interagieren, Professorinnen und Professoren zum Denken anregen, anstatt einfach nur Antworten zu geben. „Der Mensch ist ein soziales Wesen“, sagte Francis Jones. „Lernen ist ein Teamsport.“
„Lehrende sind Wegbereiter und Coaches“, sagte auch Mandy Singer-Brodowski, die über die Lehre in Zeiten von gesellschaftlichen Umbrüchen sprach. Sie beschäftigt sich mit Bildung für nachhaltige Entwicklung, die in verschiedenen Bereichen der Universitäten implementiert werden kann. Hier geht es zum einen darum, Fakten zu vermitteln – beispielsweise zum Klimawandel. „Genauso wichtig ist es aber, feste Räume zu schaffen, in denen auch die Emotionen der Studierenden thematisiert werden“, sagte die Erziehungswissenschaftlerin. Gerade beim Thema Klimawandel reagierten viele junge Menschen mit Sorge, Angst, Schuld- oder Ohnmachtsgefühlen. Lehrende müssten die Kompetenz mitbringen, darauf einzugehen. „Sie sollten Studierenden nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch die Hoffnung, dass es möglich ist, eine bessere Zukunft zu schaffen.“
Als weiteres Beispiel für kooperative und integrative Strategien in der Lehre diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, dass Vorlesungen und Seminare nicht durchgehend von einem einzigen Wissenschaftler oder einer Wissenschaftlerin als Lehrkraft bestritten werden sollten. Stattdessen könnten Expertinnen und Experten aus anderen Feldern hinzugezogen werden – etwa Forscherinnen und Forscher anderer Fakultäten oder Universitäten, außeruniversitäre Akteure aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft oder auch Studierende selbst. Als weiteres positives Beispiel wurden Lehrveranstaltungen genannt, die zu einem großen Teil von Studierenden organisiert werden – etwa an der Universität Erfurt, wo das Konzept des „Service Learning“ verfolgt wird. Das Ziel: Nicht nur fachliche Expertise soll gefördert werden, sondern auch soziale Kompetenzen wie bürgerschaftliches Engagement.
„Studierende wollen ernst genommen werden.“ Luca Lil Wirth
Die Berlin University Alliance will die Verbindung von Spitzenforschung und Lehre weiter stärken und hat sich das Querschnittsthema als eines ihrer Ziele gesetzt. Im Berlin Student Research Opportunities Programx (StuROPX) soll beispielsweise die Einbindung von Studierenden in den integrierten Forschungsraum stärker gefördert werden. Studierende bekommen einen breiteren Zugang zu den bestehenden Lehrveranstaltungen an allen vier Einrichtungen des Verbundes – Freie Universität Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin, Technische Universität Berlin sowie Charité – Universitätsmedizin Berlin. Sie können auch an neuen Lehrveranstaltungen teilnehmen, die im Bereich Forschung, Wissensaustausch und Forschungsqualität angeboten werden.
Luca Lil Wirth hat während ihres Studiums auch bereits als Tutorin gearbeitet. Durch den Austausch und das Feedback der Lernenden habe sie viel mehr gelernt, als sie erwartet hätte. So möchte sie auch als Studentin in ihren Kursen mit ihren Professorinnen und Professoren im Gespräch bleiben. „Studierende wollen ernst genommen werden“, sagte sie. Sie wollten die Lehr- und Lernkultur mitgestalten.