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Mit einem Blick auf die Sprache durch die Schulfächer

Mit dem Projekt „Sprachen – Bilden – Chancen“ wollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Berliner Universitäten Lernstoff im Klassenzimmer sprachbildend vermitteln

05.12.2019

Wie Gletscher die norddeutsche Landschaft prägten, welcher Nährstoff im Magen verdaut wird oder wie physikalische Kräfte wirken – an einem einzigen Schultag manövrieren Schülerinnen und Schüler durch ganz unterschiedliche Fachgebiete.

Wie Gletscher die norddeutsche Landschaft prägten, welcher Nährstoff im Magen verdaut wird oder wie physikalische Kräfte wirken – an einem einzigen Schultag manövrieren Schülerinnen und Schüler durch ganz unterschiedliche Fachgebiete.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Sind gute Deutschkenntnisse Voraussetzung, um auch in Schulfächern wie Mathematik und Chemie erfolgreich abzuschneiden? Geht es nicht nur um Gleichungen und Formeln? Wie wichtig Sprachkenntnisse sind, zeigte die Pisa-Studie im Jahr 2000, wie Daniela Caspari erklärt: Sie habe zum ersten Mal empirisch belegt, dass Schülerinnen und Schüler nicht-deutscher Herkunft in den Naturwissenschaften deutlich schlechtere Leistungen erbracht haben als Kinder mit einem muttersprachlich deutschen Hintergrund. „Die Studie hat uns praktisch wachgerüttelt“, erinnert sich die Professorin für Didaktik der romanischen Sprachen und Literaturen an der Freien Universität Berlin. Sie habe außerdem gezeigt, dass der Grund für diesen Leistungsunterschied nicht am mathematischen Verständnis, Intelligenz oder der Motivation liegt, sondern tatsächlich an einer schlechteren Beherrschung der deutschen Sprache.

„Natürlich können die Schülerinnen und Schüler, die zumindest einen Teil ihrer Kindheit in Deutschland verbracht haben, Deutsch oft besser als wir eine Fremdsprache im Unterricht lernen würden. Deshalb fällt es auch nicht auf, dass sie über das, was wir Bildungssprache nennen, gar nicht verfügen.“ Daniela Caspari

Wie Gletscher die norddeutsche Landschaft prägten, welcher Nährstoff im Magen verdaut wird oder wie physikalische Kräfte wirken – an einem einzigen Schultag manövrieren Schülerinnen und Schüler durch ganz unterschiedliche Fachgebiete. Dabei müssen sie nicht nur den Stoff lernen, sondern auch viele Fachbegriffe und bestimmte sprachliche Mittel. Sie lernen, sich in sogenannter Bildungssprache über den Gegenstand zu verständigen. Diese Sprache sei der wichtigste Mechanismus, über den Lernen in der Schule funktioniere, sagt Caspari. „Natürlich können die Schülerinnen und Schüler, die zumindest einen Teil ihrer Kindheit in Deutschland verbracht haben, Deutsch oft besser als wir eine Fremdsprache im Unterricht lernen würden. Deshalb fällt es auch nicht auf, dass sie über das, was wir Bildungssprache nennen, gar nicht verfügen.“

Um dieses Problem anzugehen, wurde an den Berliner Universitäten in der Ausbildung von Lehrkräften in allen Fächern ein Schwerpunkt auf den Bereich Sprachbildung gelegt. Mit der Einführung der Bachelor- und Masterlehramtsstudiengänge zum Wintersemester 2006/2007 mussten alle Lehramtsstudierenden Seminare im Bereich Deutsch als Zweitsprache (DaZ) absolvieren. „Damit war Berlin der absolute Vorreiter in der Lehrerbildung“, sagt Daniela Caspari.

Im Projekt „Sprachen – Bilden – Chancen: Innovationen für das Berliner Lehramt“, einem Gemeinschaftsprojekt von Freier Universität Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin und Technischer Universität Berlin, die alle künftige Lehrerinnen und Lehrer ausbilden, wurden die Lehrveranstaltungen in den Bereichen Sprachbildung, Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache nun erstmals umfassend untersucht und ausgewertet. Das Ziel war es, die Lehrkräftebildung im Bereich Deutsch als Zweitsprache und Sprachbildung weiterzuentwickeln.

„Uns hat interessiert, inwieweit wir mit dem großen Erfahrungsschatz, den wir an den drei Universitäten schon gewonnen hatten, weiterarbeiten können, was verbesserungswürdig ist, und was wir grundsätzlich erneuern sollten“, sagt Beate Lütke. Die Professorin für Didaktik der deutschen Sprache/Deutsch als Zweitsprache an der Humboldt-Universität zu Berlin war Standortleiterin sowie Leiterin des Gesamtprojekts. In ihrem Teilprojekt an der Humboldt-Universität haben sie und ihr Team sich vor allem mit der Evaluation bestehender Ausbildungsmodule beschäftigt. Es wurde die Kompetenzentwicklung der Studierenden gemessen, ihre Einstellung zum Thema durch Interviews festgestellt sowie Hausarbeiten im Master of Education an den drei Universitäten ausgewertet, in denen es darum ging, sprachsensibles Fachunterrichtsmaterial für ihre jeweiligen Fächer zu entwickeln.

Die Sensibilisierung für das Thema Sprachbildung habe mit Verlauf des Studiums bei den befragten Studierenden zugenommen, sagt Beate Lütke. „Gerade die Masterstudierenden waren sich des Themas sehr bewusst und schauten ganz gezielt auf die sprachliche Heterogenität in Schulen.“ Ihnen sei klar gewesen, welche Rolle ein sprachsensibler Fachunterricht spielt.

Mit „sprachsensibel“ ist gemeint, dass Sprache nicht nur als Medium verwendet wird, sondern auch Gegenstand des Unterrichts ist. Fachliches und sprachliches Lernen werden also miteinander verknüpft. Beispielsweise werden auch im Erdkunde-Unterricht Aussprachefehler korrigiert und im Chemie-Unterricht Formulierungen für Versuchsprotokolle geübt. Dabei gehen die Lehrerinnen und Lehrer auf die unterschiedlichen Ausgangsvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler ein. Sie müssen ihre sprachlichen Hürden erkennen und sie unterstützen, diese zu überwinden.

Doch wie können angehende Lehrerinnen und Lehrer auf die sprachsensible Vermittlung der Inhalte in ihren Fächern vorbereitet werden? Die Sprachbildung in verschiedenen Fachdidaktiken wurde in einem der Teilprojekte untersucht, in dem ein Team bestehende Lehrmaterialien sprachsensibel aufbereitet hat. Auf diese Weise entstand nicht nur Material für den Unterricht, die angehenden Lehrkräfte erhielten gleichzeitig auch entsprechendes methodisches Handwerkszeug, mit dem sie später selbstständig Unterrichtsinhalte gestalten können, sagt Thorsten Roelcke, Professor für Deutsch als Fremd- und Fachsprache an der Technischen Universität Berlin.

„Wir haben festgestellt, dass die Auszubildenden gar keine Lesestrategie hatten, um einen komplexen juristischen Text zu lesen.“ Julia Schallenberg

Wichtig war, mit Schulen zu kooperieren, damit nicht an der Unterrichtspraxis „vorbeigeforscht“ wird: „Die Zusammenarbeit mit Schulen und Lehrkräften hat sehr gut funktioniert“, erklärt Julia Schallenberg. Als Dozentin für Sprachbildung an der Technischen Universität Berlin war sie an der Materialentwicklung beteiligt. Zum Beispiel hat sie eine Aufgabe im Bereich Bautechnik sprachsensibel aufbereitet, bei der die Berufsschülerinnen und -schüler vorher Schwierigkeiten hatten. Zunächst analysierte sie die Aufgabe, in der unter anderem Informationen aus einem Gesetzestext entnommen werden mussten. „Wir haben festgestellt, dass die Auszubildenden gar keine Lesestrategie hatten, um einen komplexen juristischen Text zu lesen“, erklärt Schallenberg. Sie fügte Hilfestellungen zur Sprache und Herangehensweise an einen Gesetzestext hinzu. Anschließend reflektierte sie die überarbeitete Aufgabe mit den Auszubildenden: „Auch Schülerinnen und Schüler mit sehr großen sprachlichen Schwierigkeiten waren am Ende in der Lage, dem Text Informationen zu entnehmen und gute Arbeiten zu verfassen, weil entsprechende Aufgaben gestellt wurden, die sie dorthin geführt haben.“

Eine Herausforderung für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Sprachbildung und der Fachdidaktik sei die Einarbeitung in das jeweils andere Fachgebiet gewesen, erklärt Schallenberg. „Ich habe mich in die Grundlagen der beruflichen Bildung und in die verschiedenen Schwerpunkte eingearbeitet, denn Ernährungswissenschaften benötigen nochmal ganz andere Kompetenzen als Elektro- oder Metalltechnik.“

Ein Schwerpunkt in der Sprachbildung ist nicht nur in der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern sinnvoll. Auch wenn diese schon Jahre oder Jahrzehnte im Klassenraum gestanden oder ihr Studium nicht in Berlin absolviert haben ist eine Weiterbildung in dem Bereich nützlich. Doch wie muss das Aus- und Weiterbildungsangebot gestaltet sein, um Wiederholungen oder Lücken zu vermeiden?

Mit dieser Frage haben sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter der Koordination der Freien Universität Berlin beschäftigt: Ihr Ziel war es, einen Vorschlag für ein Ausbildungskonzept zu erstellen, um das Thema im Studium, im Referendariat und in der Lehrerfort- und –weiterbildung zu vermitteln sowie eine bessere Absprache zwischen den Ausbildungsphasen sicherzustellen. Wichtig sei dafür unter anderem das gegenseitige Wissen von Strukturen und Angeboten in dem Bereich, um die Aus- und Weiterbildung besser auf einander abstimmen zu können. Die an dem Teilprojekt beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schlagen dafür eine regelmäßige Berichterstattung der drei Phasen der Lehrkräftebildung durch eine Koordinierungsstelle wie das Zentrum für Sprachbildung vor.

Die disziplin- und universitätsübergreifende Zusammenarbeit habe im Projekt „Sprachen – Bilden – Chancen“ bereits gut funktioniert und sei sehr intensiv und fruchtbringend gewesen, sind sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einig. „Wir waren tatsächlich auf allen Ebenen miteinander verschränkt“, sagt Daniela Caspari, Standortleiterin an der Freien Universität Berlin und Leiterin des Teilprojekts „Sprachbildung in den Fachdidaktiken“.

„Durch die Expertise der drei Universitäten kommt unheimlich viel Know-how zusammen, und das ist ein großer Zugewinn.“ Beate Lütke

Auch nach Beendigung des Projekts stehen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weiterhin in Kontakt, treffen sich bei Tagungen oder planen gemeinsame Veranstaltungen wie Daniela Caspari und Beate Lütke. „Auch, wenn es sehr aufwendig ist, in dieser Form universitätsübergreifend zusammenzuarbeiten, sollte uns das für die Zukunft nicht schrecken“, sagt Lütke, „weil durch die Expertise der drei Universitäten unheimlich viel Know-how zusammenkommt, und das ist ein großer Zugewinn.“

Es wäre wichtig, an diesem Thema dranzubleiben, sagt Thorsten Roelcke. „Wir hätten alle Lust, weiterzumachen und zwar nicht nur aus persönlichen Gründen, weil wir als Team oft gut zusammengearbeitet haben, sondern weil es auch unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten sehr sinnvoll wäre.“

Weitere Informationen

„Sprachen – Bilden – Chancen: Innovationen für das Berliner Lehramt“

Das von 2014 bis 2017 laufende gemeinsame Projekt der Freien Universität Berlin, der Humboldt‐Universität zu Berlin und der Technischen Universität Berlin wurde mit insgesamt 1,25 Millionen Euro durch das Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache gefördert. Gegliedert war „Sprachen – Bilden – Chancen“ in drei Bereiche, die jeweils unter der Federführung einer der drei Universitäten standen.

  1. Evaluation und Weiterentwicklung der Deutsch als Zweitsprache-Module, Humboldt-Universität zu Berlin
  2. Sprachbildung in den Fachdidaktiken, Technische Universität Berlin
  3. Entwicklung eines phasenübergreifenden Ausbildungskonzepts für die Sprachbildung im Lehramt, Freie Universität Berlin

Das im Projekt „Sprachen-Bilden-Chancen“ entwickelte Lehrmaterial steht auf der Projekt-Website www.sprachen-bilden-chancen.de zum Download zur Verfügung.