Zwischen den Zellen
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Medizin, Chemie und Physik arbeiten gemeinsam daran, Entzündungen sehr frühzeitig auf der Ebene von Molekülen zu erkennen
27.11.2019
Krankheiten zu einem sehr frühen Zeitpunkt erkennen: Mit der Untersuchung der extrazellulären Matrix soll das möglich werden.
Bildquelle: Pixabay License
Lange bevor sich eine Erkrankung im Körpergewebe manifestiert, zeigen sich bereits Veränderungen in der extrazellulären Matrix. Also in jenem Raum, der zwischen den Körperzellen liegt. Nicht die Struktur des Gewebes selbst verändert sich, sondern die Feinstruktur von langen Zuckerketten – sogenannten Glycosaminoglykanen –, die in großer Zahl an großen Matrixproteinen, wie den Proteoglykanen sitzen. Schon zu Beginn einer Entzündung übertragen Enzyme mehr Sulfatgruppen auf diese Zuckerketten. Aber selbst mit den modernsten bildgebenden Methoden sind diese frühen Krankheitszeichen bisher leider nicht erkennbar.
Doch das könnte sich in einigen Jahren ändern: Der Sonderforschungsbereich „Matrix in Vision“, den die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) seit 2018 fördert, hat das Ziel, „die charakteristischen Änderungen der biochemischen Zusammensetzung und der mechanischen Eigenschaften der extrazellulären Matrix (EZM) mit bildgebenden Verfahren sichtbar zu machen. Und zwar unter Verwendung molekularer Bildgebungssonden wie den MRT-Kontrastmitteln“, erklärt Professor Matthias Taupitz, Radiologe an der Charité – Universitätsmedizin Berlin und stellvertretender Sprecher des SFB. Neben der Charité und den drei großen Berliner Universitäten sind auch das Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung (Potsdam-Golm), die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) sowie die Physikalisch-technische Bundesanstalt (PTB) mit Projekten am SFB beteiligt.
„Die extrazelluläre Matrix ist neben den Zellen ein wichtiger Bestandteil aller Körpergewebe. Sie übernimmt mit ihren funktionellen Eigenschaften einerseits eine wichtige Rolle bei der Steuerung von Wachstum, Krankheitsabwehr und Heilung und bestimmt andererseits die mechanische und elastische Charakteristik der Gewebe“, erklärt Taupitz. Die biomedizinische Forschung der letzten Jahre zeige, dass viele Erkrankungen, darunter Entzündungsprozesse, Tumore, aber auch Degeneration und Regeneration frühzeitig mit charakteristischen Änderungen der extrazellulären Matrix einhergingen.
Professor Kevin Pagel vom Institut für Chemie und Biochemie an der Freien Universität Berlin
Bildquelle: Catarina Pietschmann
Konkreter Ausgangspunkt für das umfangreiche Forschungsvorhaben ist die Beobachtung, dass Kontrastmittel für eine Magnetresonanztomographie, die auf dem Element Gadolinium oder Eisenoxid-Nanopartikeln basieren, sich besonders an den genannten Makromolekülen anlagern. Eine Schlüsselrolle spielen dabei besagte langkettige Glycosaminoglykane, die wie Fransen vom Proteinrückrat der Makromoleküle abstehen. „Diese Zuckerketten werden durch die zunehmende Sulfatierung negativ geladen. Und hier lagern sich die positiv geladenen Metallionen und -nanopartikel gut an, was den Kontrast im MRT verstärkt“, sagt Professor Kevin Pagel, Chemiker an der Freien Universität Berlin und Teilprojektleiter im SFB. Doch bisher ist völlig unverstanden, wie die metallischen Partikel binden.
„Normalerweise brauchen Methoden, die wir in der Chemie und Physik entwickeln, 30 Jahre bis sie beim Patienten ankommen. Hier machen wir es ganz anders.“ Kevin Pagel
Das Ungewöhnliche an SFB 1340: Die Kombination neuester analytischer Techniken, die teilweise erst im Rahmen des Projektes konzipiert werden mit medizinischer Forschung. „Normalerweise brauchen Methoden, die wir in der Chemie und Physik entwickeln, 30 Jahre bis sie beim Patienten ankommen. Hier machen wir es ganz anders“, sagt Kevin Pagel. Und so gehen die Forscherinnen und Forscher in den insgesamt 17 Teilprojekten das Thema gleich parallel von zwei Seiten an: die Projekte in Teil A basieren auf physiko-chemischen Methoden, in Teil B geht es um medizinische Fragestellungen, die beispielsweise Entzündungen und Fibrose der Leber, Arteriosklerose, Aorten-Aneurismen, entzündliche Darmerkrankungen oder die Tumorentstehung betreffen. „A und B werden dann zusammengeführt, um Techniken zu entwickeln, mit denen wir die klinischen Fragen abbilden können“, sagt der Chemiker.
Beispielhaft für diese konzertierte Arbeit ist die Forschung von Kevin Pagel. In einem Forschungsprojekt will er die Struktur von Glucosaminoglycanen entschlüsseln und ihre Bindungsfähigkeit an den Metallkomponenten der Kontrastmittel aufklären.
„Zum einen wollen wir uns mit Gasphasenmethoden anschauen, welche Motive da genau gebunden werden. Dazu nutzen wir hauptsächlich synthetische Zucker sowie auch gereinigte Zucker aus Gewebeproben, inkubieren sie mit den entsprechenden Metallionen, sprühen sie ins Massenspektrometer und sehen uns an, wo genau diese Metallionen an den Zuckermolekülen kleben bleiben.“ Pagel ist zuversichtlich: Bereits in zwei Jahren könnte das Bindungsverhalten des Kontrastmittels aufgeklärt sein. Weit schwieriger wird es, die genaue Sequenz der Glycosaminoglycane zu bestimmen, zu denen übrigens auch der natürliche Blutgerinnungshemmer Heparin und die stark Wasser bindende Hyaluronsäure gehören. Sie bestehen aus rund 100 Zuckermolekülen, meist zusammengesetzt zu 50 Disaccharid-Einheiten.
„Momentan fehlt tatsächlich noch die Technologie, um die exakte Abfolge der Zucker in den Ketten und deren Sulfatierung herauszufinden“, erklärt Kevin Pagel. „Wir trennen sie aktuell in einem Ionenmobilitätsmassenspektrometer oder bestrahlen sie mit Licht, wodurch sie in größere Bruchstücke zerfallen, die wir dann weiter untersuchen. Für die Zuckeranalytik sind diese Methoden noch neu. Wir entwickeln sie nun weiter, denn sie haben das Potential auch die Sulfatierungsmuster aufzuklären.“
„Durch die Arbeiten im SFB sollen neue Ansätze für eine verbesserte, möglichst auch frühzeitige, nicht invasive bildgebende Diagnostik sowie für die Therapiekontrolle aufgezeigt werden.“ Matthias Taupitz
Mittelfristig sollen die in Pagels Projekt entwickelten Techniken in einem zweiten SFB-Projekt genutzt werden, um biologische Proben aus dem B-Teil (Biopsien, Gewebeschnitte) hinsichtlich der Glycosmaminoglycan-Muster zu analysieren. Mit dem Ziel, Charakteristika herauszufiltern, die spezifisch etwa für eine beginnende Tumorentwicklung oder Entzündung sprechen.
Grundlagenforschung wie Labordiagnostik werden durch diese Forschungen stark profitieren – aber vor allem die Patienten. „Neben neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Rolle der extrazellulären Matrix bei Krankheitsentstehung und im Krankheitsverlauf, auch unter einer Therapie, sollen durch die Arbeiten im SFB neue Ansätze für eine verbesserte, möglichst auch frühzeitige, nicht invasive bildgebende Diagnostik sowie für die Therapiekontrolle aufgezeigt werden“, sagt Matthias Taupitz.