Wenn Lebensmittel mitten in der Stadt wachsen
Das Projekt EdiCitNet setzt sich für eine lokale und nachhaltige Produktion von Lebensmitteln in Städten ein
02.10.2019
In dem Projekt „EdiCitNet“ werden individuelle Konzepte entwickelt, um Lebensmittel in unterschiedlichen Städten lokal und nachhaltig zu produzieren.
Bildquelle: Pixabay License
Städte wie Rotterdam oder das rheinland-pfälzische Andernach machen es vor – und auch Berlin hat es sich auch auf die Agenda geschrieben: Die lokale und nachhaltige Produktion von Lebensmitteln in der Stadt. Unter dem Stichwort „Essbare Stadt“ existieren in Rotterdam über 200 Initiativen. „Am bekanntesten ist sicherlich Rotterzwam: Ein Unternehmen, das in einem alten Schwimmbad auf Kaffeesatz Pilze züchtet und diese an lokale Gastronomen verkauft“, sagt Ina Säumel. Die Mitarbeiterin am Integrative Research Institute on Transformations of Human-Environment Systems (IRI THESys) der Humboldt-Universität zu Berlin beschäftigt sich seit Langem mit dem Konzept der „Essbaren Städte“, zuletzt mehrere Jahre an der Technischen Universität Berlin, an der sie weiter Projekte zum Thema betreut.
„Wir versuchen gemeinsam mit verschiedensten Partnern, das vorhandene Wissen über Einzelprojekte der lokalen Lebensmittelproduktion in einem Netzwerk zu bündel.“ Ina Säumel
Seit Ende 2018 leitet Ina Säumel das Projekt EdiCitNet (Integrating Edible City Solutions for Social Resilient and Sustainably Productive Cities). Ziel des Projekts ist es, individuelle Konzepte zu entwickeln, um Lebensmittel in unterschiedlichen Städten lokal und nachhaltig zu produzieren. „Wir versuchen gemeinsam mit verschiedensten Partnern, das vorhandene Wissen über Einzelprojekte der lokalen Lebensmittelproduktion in einem Netzwerk zu bündeln, zu analysieren und auf einer digitalen Plattform für alle Interessierten zusammenzustellen“, erklärt Ina Säumel.
Entstanden ist das Projekt aus der Zusammenarbeit der promovierten Biologin und Geographin mit Jörg Niewöhner, Professor für Europäische Ethnologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Die Kooperation zwischen Natur- und Sozialwissenschaften sollte die unterschiedlichen Denkschemata kombinieren und daraus neue Synergien für die konkrete Umsetzung von Projekten schaffen. Dazu haben Ina Säumel und ihr interdisziplinäres Team 35 Partner zusammengebracht: 13 Städte, verschiedene Wissenschaftsinstitutionen, Nichtregierungsorganisation (NGOs) sowie mittelständische Unternehmen, die über eine große Expertise in der Branche verfügen. Unter den Städten sind sowohl Großstädte wie Oslo, Rotterdam, Havanna, Montevideo, Lomé und Berlin vertreten als auch kleinere Orte wie Andernach, Sant Feliu de LLobregat in Katalonien oder Sempeter pri Gorici in Slowenien.
Kann man das essen? Projektleiterin Dr. Ina Säumel erläutert den Teilnehmerinnen und Teilnehmern eines Workshops im Berliner Prinzessinnengarten das Konzept von EdiCitNet.
Bildquelle: EdiCitNet
„Bis zum Herbst 2019 werden fünf der Partnerstädte, in denen bereits Projekte zur essbaren Stadt existieren, sogenannte Living Labs etablieren“, sagt Ina Säumel. Aufgabe dieser Reallabore sei die konkrete Umsetzung von einzelnen Projekten, die in sogenannten City Teams geplant werden.
Mit Hilfe der wissenschaftlichen Koordinatorinnen und Koordinatoren sollen diese City Teams Vertreterinnen und Vertreter der relevanten Stakeholder und Interessengruppen der jeweiligen Stadt zusammenführen, etwa die Stadtverwaltung, Unternehmen, Bürgerinitiativen sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. „Das Konzept der City Teams ist ganz einfach“, erklärt Ina Säumel. „Sie sind wie eine Fußballmannschaft aufgebaut: Es braucht Stürmer, Spielführer und Verteidiger, Manager und Trainer, um konkrete Projekte wirksam umzusetzen.“
Jedes City Team besteht aus rund elf Hauptakteurinnen und -akteuren sowie verschiedenen Beratenden, die gemeinsam das Living Lab entwickeln. Darüberhinaus wird es Treffen mit anderen City Teams geben, um sich auszutauschen und alle Informationen später auf einer digitalen Informationsplattform zur Verfügung zu stellen, der EdiCitNet Tool Box.
„In den Living Labs können sowohl konkrete Projekte umgesetzt, als auch strukturelle Rahmenbedingungen verändert werden.“ Ina Säumel
Dr. Ina Säumel leitet das Projekt EdiCitNet, arbeitete an der Technischen Universität Berlin und nun an der Humboldt-Universität zur essbaren Stadt.
Bildquelle: RuralFutures
Andernach, das bereits mit dem Slogan „Die essbare Stadt“ wirbt, hat sich zum Beispiel vorgenommen, eine bestimmte Fläche als urbanen Garten zu verwenden. Diese Fläche soll von lokalen Kindergärten, Schulen, Flüchtlingsheimen und anderen Initiativen bewirtschaftet werden. Die geernteten Produkte werden in den Kantinen der beteiligten Einrichtungen verarbeitet.
„In den Living Labs können sowohl konkrete Projekte umgesetzt, als auch strukturelle Rahmenbedingungen verändert werden, wie im Beispiel von Rotterdam“, sagt Ina Säumel. In der niederländischen Stadt sollen Maßnahmen ausgearbeitet werden, um die 200 lokalen Initiativen in einem Dachverband zu bündeln und so ihr langfristiges, wirtschaftliches Überleben zu sichern. Aus den Erfahrungen der erfolgreichen Initiativen soll ein Handbuch erstellt werden. „Da werden Fragen beantwortet wie: Welche Fördermaßnahmen bezüglich der essbaren Stadt gibt es? Was muss bei der Marktzulassung der Produkte beachtet werden? Wie kann ein Produkt als Rotterdamer Produkt gelabelt werden?“, beschreibt Ina Säumel
Studierende der TU Berlin analysieren im Labor für Organische Spurenanalytik und Naturstoffe des Instituts für Ökologie die Inhaltsstoffe von Lebensmitteln, die im Rahmen des Projektes angebaut werden.
Bildquelle: Paul Fiedler
Die acht weiteren Partnerstädte entwickeln in ihren City Teams Konzepte über Strukturen, die geschaffen werden müssen, um konkrete Projekte umzusetzen. In Berlin ist es zum Beispiel gelungen, für die City Teams alle wichtigen Senatsverwaltungen an einen Tisch zu bekommen, dazu NGOs wie die Online-Plattform Mundraub für die Entdeckung und Nutzung essbarer Landschaften sowie das Ingenieurbüro Nolde & Partner für innovative Wasserkonzepte und das Projekt Roof Water-Farm für Regenwassermanagement.
Von Seiten der Wissenschaft werden auch Fragen der Governance und Partizipation ausgewertet. Gemeinsam mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Labor für Organische Spurenanalytik und Naturstoffe des Instituts für Ökologie der Technischen Universität Berlin unter der Leitung der promovierten Chemikerin Thi Lam Huong Pham wird die organische Schadstoffbelastung im Gemüse und Obst, das in unseren Städten wächst, untersucht. Im Studienprojekt „Wie gesund ist die essbare Stadt? Untersuchung von Organischen Schadstoffen in Produkten urbaner Gärten“ nehmen Studierende des Studiengangs Ökologie und Planung der Technischen Universität Berlin die Produkte der EdiCitNet-Städte genau unter die Lupe. „So verbinden wir unsere Forschung erfolgreich mit der universitären Lehre“, erläutert Ina Säumel. „Studierende setzen sich mit den Akteurinnen und Akteuren der essbaren Städte auseinander, identifizieren Barrieren und Hindernisse für ihre Umsetzung und arbeiten mit analytischen Methoden der organischen Chemie.“
Weitere Informationen
EdiCitNet
Angesiedelt ist das Projekt in dem interdisziplinären Forschungszentrum IRI THESys der Humboldt-Universität zu Berlin. Die Europäische Kommission fördert EdiCitNet mit rund 12 Millionen Euro für die nächsten fünf Jahre. Rund 3,8 Millionen Euro der gesamten Fördersumme verbleiben bei den Berliner Partnern, der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, der Technischen Universität Berlin, der Humboldt-Universität zu Berlin (IRI THESys), Mundraub sowie Nolde & Partner.