Zusammenhalt erforschen
Mit ihrem ersten Call im Rahmen der „Grand Challenge Initiative“ zum Thema „Social Cohesion“ fördert die Berlin University Alliance die Vernetzung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu diesem Thema
19.09.2019
Den Blick schärfen: Der Call zum Thema „Sozialer Zusammenhalt“ richtet sich an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der drei großen Berliner Universitäten und der Charité aller Disziplinen.
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Es ist ein diffuses Gefühl, das sich in der Bevölkerung breitmacht: Die Gesellschaft drifte auseinander. In Talkshows, Bundestagsdebatten, den Sozialen Medien, aber auch innerhalb von Familien erscheint die Polarisierung um Themen wie Migration oder Klimawandel zunehmend stärker. Nicht nur in Deutschland. Was „sozialer Zusammenhalt“ bedeutet und welche Entwicklungen Gesellschaften weltweit herausfordern sind zentrale Fragestellungen der ersten „Grand Challenge Initiative“ der Berlin University Alliance.
„Wir haben bewusst ein Thema gewählt, dass auch auf die Expertise nicht-wissenschaftlicher Einrichtungen in Berlin angewiesen ist.“ Peter A. Frensch
Mit dem Programm der „Grand Challenge Initiative“ stellt sich die Berlin University Alliance gesellschaftlichen Herausforderungen der Gegenwart von globaler Bedeutung. Den Auftakt macht ein Call zum Thema sozialer Zusammenhalt. In dem zweistufigen Wettbewerb können sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der drei großen Berliner Universitäten und der Charité bis zum 15. Oktober in einem „Pre-Call“ für Fördermittel bis zu 10.000 Euro bewerben. Das Geld soll der Vernetzung dienen, um zunächst das Feld in einer Art Explorationsphase zu erkunden.
Der Begriff des gesellschaftlichen Zusammenhalts liegt an der Schnittstelle geistes-, sozial-, natur- und ingenieurswissenschaftlicher Perspektiven, Anträge aus allen Disziplinen sind denkbar. Die Zusammenarbeit über Disziplinen und Einrichtungen hinweg wird ausdrücklich unterstützt.
„Wir haben ganz bewusst ein Themenfeld gewählt, dass so groß und komplex ist, dass es nicht von einer Hochschule alleine behandelt werden kann, sondern auf die Expertise der wissenschaftlichen und auch der nicht-wissenschaftlichen Einrichtungen in Berlin angewiesen ist“, sagt Peter A. Frensch, Professor für Psychologie und als Vizepräsident für Forschung der Humboldt-Universität Mitglied des Steering Committee des Schwerpunktes „Focusing on Grand Challenge“. Der gesellschaftliche Mehrwert der Forschung sei ein weiteres zentrales Kriterium bei der Auswahl gewesen. Um das Thema des sozialen Zusammenhalts in seiner Vielschichtigkeit betrachten und die Ergebnisse für die Gesellschaft nutzbar machen zu können, müssten von vornherein auch Stakeholder aus Politik, Zivilgesellschaft, Kultur, Verwaltung oder Wirtschaft integriert werden, so Frensch.
Die Zusammenarbeit auch mit außeruniversitären Einrichtungen gehört für die Politikwissenschaftlerin Tanja Börzel zum Forschungsalltag. Gemeinsam mit Michael Zürn vom Wissenschaftszentrum Berlin ist sie Sprecherin des an der Freien Universität Berlin angesiedelten Exzellenzclusters SCRIPTS, in dem die Infragestellung des Modells der liberalen Demokratie als Leitbild untersucht werden. „Zu glauben, wir könnten als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von außen auf die Gesellschaft schauen und dann Empfehlungen aussprechen, ist nicht mehr zeitgemäß“, sagt Tanja Börzel, die an der Themenfindung zum Call beteiligt war.
„Berlin ist in diesem Bereich wissenschaftlich hervorragend aufgestellt.“ Tanja Börzel
Dass Berlin einen bedeutenden Standortvorteil bei der Untersuchung von „Social Cohesion“ einnimmt, liegt für die Politikwissenschaftlerin auf der Hand: „Ein modernes Verständnis von sozialem Zusammenhalt geht nicht von einer homogenen Gemeinschaft aus, sondern versteht Vielfalt als festen Bestandteil einer Gesellschaft. Und diese Diversität – gleich ob der Ethnie, Religion, Nationalität oder Sexualität – macht Berlin aus.“ Nicht nur deshalb sei die Stadt ein hervorragender Standort für die Erforschung des sozialen Miteinanders.
Prof. Dr. Tanja A. Börzel ist Politikwissenschaftlerin und Sprecherin des Exzellenzclusters SCRIPTS.
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Wie unter einem Brennglas verdichtet sich in Berlin die komplexe globalisierte Welt: Die Multikulturalität der Stadt, aber auch die Ungleichheit in den Lebensbedingungen, die soziale Segregation und nicht zuletzt die Geschichte der geteilten Stadt in Ost- und Westdeutschland bringen hier viele Faktoren zusammen, die für die Untersuchung des Themas spannend sind.
Hinzu kommt eine außerordentliche Wissenschaftslandschaft: „Berlin ist wissenschaftlich hervorragend aufgestellt. Es hat ein Alleinstellungsmerkmal in den Sozialwissenschaften durch die starke Verbindung zwischen den Regionalstudien und den Internationalen Beziehungen“, sagt Tanja Börzel.
Und gleich vor der Haustür könnten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Akteurinnen und Akteuren aus Politik oder zivilgesellschaftlichen Initiativen zusammenarbeiten – und aus dem Lokalen heraus Brücken in die Welt schlagen: „Lösungen auf die Herausforderungen unserer Zeit müssen auf globaler Ebene angesiedelt sein. Bislang findet das vor allem auf Länderebene statt, aber ein Denken in Nationalstaaten hilft bei Fragestellungen dieser Größe nicht weiter“, so die Politikwissenschaftlerin.
„Wichtig ist uns, eine kontinuierliche und nachhaltige Zusammenarbeit in Berlin auf den Weg zu bringen.“ Peter A. Frensch
Besondere Formate im Rahmen der „Grand Challenge Initiative“ sollen die Zusammenarbeit der Berliner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit außeruniversitären Einrichtungen wie Museen oder Nichtregierungsorganisationen stärken: „Wir möchten Vernetzungsmöglichkeiten für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit interessanten Partnern in der Stadt schaffen. Wichtig ist für die Berlin University Alliance, dass uns der Weg zu einer kontinuierlichen und nachhaltigen Zusammenarbeit führt“, sagt Frensch.
Prof. Dr. Peter A. Frensch ist Vizepräsident für Forschung an der Humboldt-Universität zu Berlin und Mitglied des Steering Committees „Focussing on Grand Challenge Initiative“ der Berlin University Alliance.
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Im ersten Teil des Calls – einer Art „Erkundungsphase“ – können Antragstellerinnen und Antragsteller bis zu 10.000 Euro über einen Zeitraum von sechs Monaten einwerben. Förderbeginn ist der 1. November 2019. Mit den Mitteln können erste Kontakte geknüpft und Inhalte vorbereitet werden, etwa um Reise- und Aufenthaltskosten für potenzielle Projektpartnerinnen und -partner aus dem Ausland zu vergüten. „Gruppen können sich jetzt schon finden und überlegen, wie sie zu dem Thema beitragen möchten“, sagt Frensch. Das Geld der ersten Förderrunde könnte genutzt werden, sagt auch Tanja Börzel, um Netzwerke aufzubauen und „schon etwas aufs Gleis zu setzen“.
Antragsberechtigt sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach der Promotion, die an einer der Einrichtungen der Berlin University Alliance beschäftigt sind. Ein Projekt besteht aus einem festen Personenkreis von mindestens fünf Antragsberechtigten. Dieser setzt sich aus Angehörigen von mindestens zwei der drei Berliner Universitäten und der Charité zusammen. Der „große“ Aufruf zur Antragstellung ist dann für 2020 geplant.
Gemeinsam, sagt Peter A. Frensch, könne man es schaffen, dass in Berlin schon in wenigen Jahren Antworten auf die globalen Herausforderungen entwickelt werden: „In fünf bis zehn Jahren ist Berlin ein international sehr anerkannter Standort, an dem Fragen zum sozialen Zusammenhalt ihrer Komplexität angemessen untersucht werden.“