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Wie beeinflusst Gender das Altern?

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Charité und der Humboldt-Universität erforschen den Einfluss des biologischen und des sozio-kulturellen Geschlechts auf Krankheitsentstehungen bei älteren Menschen

06.03.2019

Welche Rolle spielt das Geschlecht bei der Entstehung typischer Alterskrankheiten?  Und warum bleibt manch einer fit bis ins hohe Alter? Diesen und weiteren Fragen wird im Projekt GendAge nachgegangen.

Welche Rolle spielt das Geschlecht bei der Entstehung typischer Alterskrankheiten? Und warum bleibt manch einer fit bis ins hohe Alter? Diesen und weiteren Fragen wird im Projekt GendAge nachgegangen.
Bildquelle: Matthew Bennett/unsplash

Die Menschen werden immer älter – doch warum bekommt manch einer Diabetes oder Herzprobleme, während andere bei gleichen Risikofaktoren gesund bleiben bis ins hohe Alter? Welche Rolle spielt das Geschlecht bei der Entstehung typischer Alterskrankheiten? Über all das weiß man bis heute erst wenig.

Im Rahmen des Projektes „GendAge – Geschlechtssensitive Vorbeugung kardiovaskulärer und metabolischer Krankheiten bei älteren Erwachsenen in Deutschland“ gehen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diesen Fragen universitätsübergreifend nach. Von der Charité – Universitätsmedizin Berlin sind Professorin Vera Regitz-Zagrosek, Direktorin des Instituts für Geschlechterforschung in der Medizin und Professor Ilja Demuth, Klinik für Endokrinologie/Arbeitsbereich Lipidstoffwechsel und Leiter der Arbeitsgruppe „Biologie des Alterns“, beteiligt, von Seiten der Humboldt-Universität zu Berlin Psychologie-Professor Denis Gerstorf. „Wir wollen uns ein differenzierteres Bild vom Altern machen, um die Gesundheitsförderung und die individuelle Prävention von Krankheiten zu verbessern sowie Therapien gezielter einsetzen zu können“, sagt Verbundkoordinator Ilja Demuth. GendAge wird mit 1,2 Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

Wie ein Mensch altert, hängt auch vom Gender ab.

Ausgangpunkt für GendAge sind bereits existierende Daten einer Probandengruppe von 1.600 Männern und Frauen im Alter zwischen 60 und 80 Jahren, die während der Berliner Altersstudie II (BASE-II) zwischen 2009 und 2014 erhoben wurden. Neben der körperlichen Gesundheit wurden kognitive Fähigkeiten getestet sowie die Einstellung zum Älterwerden, die Lebensqualität und die Wohn- und Lebenssituation abgefragt. Seit 2018 findet nun im Rahmen von GendAge die Zweiterhebung dieser Gruppe statt.

Wie ein Mensch altert, hängt nicht nur vom biologischen Geschlecht, dem Immunsystem, genetischer Veranlagung und dem eigenen Verhalten ab, sondern auch vom Gender. „Es gibt zunehmend empirische Nachweise, dass das Gender – als ein Komplex verschiedener soziokultureller Faktoren – Krankheit stark beeinflusst“, sagt Vera Regitz-Zagrosek. Zu diesen Faktoren gehört unter anderem, ob jemand allein oder in einer Partnerschaft lebt, wie stark die Rolle bei der Bewältigung der alltäglichen Dinge im Haushalt ist, wer sich um die Familie kümmert, wie die berufliche Situation und die persönliche Sicht auf die eigene Stellung in der Gesellschaft ist.

V.l.n.r.: Professorin Vera Regitz-Zagrosek und Professor Ilja Demuth von der Charité – Universitätsmedizin Berlin sowie Professor Denis Gerstorf von der Humboldt-Universität zu Berlin.

V.l.n.r.: Professorin Vera Regitz-Zagrosek und Professor Ilja Demuth von der Charité – Universitätsmedizin Berlin sowie Professor Denis Gerstorf von der Humboldt-Universität zu Berlin.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

GendAge ist die erste deutsche Studie, bei der Genderunterschiede bei älteren Menschen erforscht werden – obwohl dies offenbar ein wichtiger Bereich ist: „Aktuelle Studien zeigen, dass das soziokulturelle Konstrukt Gender stärker mit einigen Risikofaktoren für das Herz-Kreislauf-System assoziiert ist als das biologische Geschlecht“, betont Vera Regitz-Zagrosek. Die Forscherinnen und Forscher wollen deshalb einen sogenannten Gender-Score entwickeln und validieren. „Mit Hilfe eines statistischen Verfahrens berechnen wir, welche Variablen aus dem soziokulturellen Bereich mit welcher Gewichtung in den Score eingehen“, erklärt Ilja Demuth. Auf der einen Seite der Skala (von 1 bis 100) dominieren mehr männliche Eigenschaften, wie weniger Zeit im Haushalt oder höheres Einkommen. Auf der anderen Seite solche Eigenschaften, die man eher Frauen zuordnen würde. Doch Rollenverständnisse und Aufgaben ändern sich: Väter nehmen Elternzeit. In manchen Familien sind heute Frauen die Hauptverdiener. „Die Zuschreibung von Eigenschaften ist in stetem Wandel, was sehr spannend ist“, ergänzt Demuth.

Die Hoffnung der Forscherinnen und Forscher ist, dass ein Gender-Score, der auch individuelle soziokulturelle Aspekte eines Menschen abbildet, wesentlich präziser ist in der Vorhersage von individueller Alterung und dem damit verbundenen Krankheitsrisiko als eine Bewertung, die allein auf dem biologischen Geschlecht beruht. „Mit der Förderung von GendAge, die bis 2021 läuft, haben wir die Möglichkeit, die Berliner Altersstudie BASE-II von einer Querschnitts- in eine Längsschnittstudie umzuwandeln“, sagt Ilja Demuth. Im Mai 2018 wurde begonnen, die Probanden für erneute medizinische Untersuchungen und Befragungen in die Charité einzuladen. Rund sechs Jahre liegen zwischen der Erst- und der jetzigen Zweituntersuchung. „Wir würden die Probanden gern so lange wie möglich in diesem Abstand wiedersehen.“

Gesund – ein Leben lang.

Blut- und Urinproben aus der Erstuntersuchung wurden tiefgefroren und stehen der Forschung für weitere und vergleichende Untersuchungen zur Verfügung. Bereits damals wurde die Länge der Telomere – DNA-Abschnitte an den Enden der Chromosomen – bestimmt und ein Zusammenhang mit der Muskelmasse an Armen und Beinen der Probanden erkannt. Die Abnahme der Muskelmasse mit dem Alter stellt ein zunehmendes Problem der alternden Gesellschaft dar, weil sie zum Beispiel mit einer generellen Abnahme der Mobilität und einem erhöhten Sturzrisiko assoziiert ist. Je länger die Telomere sind, desto häufiger können sich die Zellen noch teilen. Die Telomerlänge gilt als klassischer Biomarker des Alterns, denn mit dem Alter nimmt sie ab, wobei der Lebensstil eine nicht unwesentliche Rolle spielt: Schon moderate Änderungen hin zu einem gesünderen Lebensstil können die Telomerverkürzung verlangsamen.

Ilja Demuth will sich nun unter anderem ein charakteristisches Set aus acht Stellen in der DNA aus Blutproben ansehen, die natürlicherweise und in unterschiedlichem Ausmaß durch das Anhängen einer Methylgruppe modifiziert werden können. „Erst seit Kurzem ist bekannt, dass bestimmte dieser sogenannten epigenetischen Veränderungen stark mit dem chronologischen Alter des Menschen korrelieren. Sie werden deshalb als epigenetische Uhr bezeichnet.“ Spiegelt die Abweichung der epigenetischen Uhr vom chronologischen Alter das biologische Alter wider, und ist sie aussagekräftiger als die Telomerlänge? Ist die Differenz zwischen epigenetischem – also biologischem – und chronologischem Alter assoziiert mit anderen wichtigen Alterserscheinungen wie Diabetes oder Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems? Und wie haben sich die Alters-Biomarker der BASE-II-Probanden seither verändert? GendAge soll auch Antworten auf diese Fragen geben.

Gesund – ein Leben lang. Eine gendersensible Medizin könnte ein wichtiger Schritt zu diesem Wunschziel sein.

Schlagwörter

  • Forschung
  • Interdisziplinarität
  • Medizin