Verschwundenes hörbar machen
Ein Wissenschaftspodcast widmet sich der Geschichte „Hinter den Dingen“
21.02.2019
Wissenschaft für die Ohren: Der Podcast „Hinter den Dingen“ des Sonderforschungsbereichs „Episteme in Bewegung“ bietet 5000 Jahre Wissensgeschichte zum Mitnehmen und Nachhören.
Bildquelle: Kristiane Hasselmann
Hier sollte es liegen: in einer Vitrine hinter einer schweren Tür aus Palisanderholz im Ägyptischen Museum im Neuen Museum in Berlin. Aber seit das mysteriöse Pyramidenfragment 1889 aus der Berliner Sammlung verschwand, fehlt von ihm jede Spur. Laut Aufzeichnungen handelt es sich bei dem verschwundenen Exponat um ein Bruchstück aus Sandstein, auf dem 26 Hieroglyphen aufgebracht sind. Bislang war unbekannt, aus welcher Pyramide dieses Fragment stammt. Deshalb hat sich der Ägyptologe Stephan Hartlepp von der Freien Universität Berlin auf die Suche nach dessen Herkunft gemacht. Die Besonderheit: Interessierte können ihn bei seiner Spurensuche begleiten.
„Hinter den Dingen. 5000 Jahre Wissensgeschichte zum Mitnehmen und Nachhören“ heißt der 45-minütige Podcast, den das Team um Kristiane Hasselmann seit 2018 veröffentlicht. Dessen zweite Episode, die ab dem 28. Februar bei allen gängigen Podcast-Anbietern abrufbar sein wird, handelt vom verschwundenen Pyramidenfragment. Und sie wurde zeitgleich zu den Forschungsfortschritten produziert. „Wir hätten auch Pech haben können“, sagt Hasselmann, „und die Suche wäre ohne Clou oder eine Auflösung ausgegangen.“ Denn auch das passiere in der Forschung, und der Podcast habe den Anspruch, Einblicke in genau diese Arbeitsweisen zu gewähren.
Die promovierte Theaterwissenschaftlerin Hasselmann ist Geschäftsführerin des wissensgeschichtlichen Sonderforschungsbereichs (SFB) „Episteme in Bewegung“ sowie Leiterin des Teilprojekts „Schauräume des Wissenstransfers“, welches die Forschungsperspektiven und -ergebnisse einer breiteren Öffentlichkeit vermitteln soll. Zum Team gehören zudem die wissenschaftliche Mitarbeiterin und der wissenschaftliche Mitarbeiter vom SFB Katrin Wächter und Armin Hempel sowie der Drehbuchautor Jan Fusek.
Kristiane Hasselmann ist wissenschaftliche Geschäftsführerin des SFB "Episteme in Bewegung".
Bildquelle: Erika Borbély Hansen
„Wir müssen anders auf Themen zugreifen, als es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gewohnt sind.“ Kristiane Hasselmann
In der Auftaktepisode hatte sich das Podcast-Team auf die Spur des Geheimnisses einer rubinroten Teekanne begeben, unter anderem auf der Pfaueninsel – und das sehr unterhaltsam. Das überzeugte auch Mitglieder der am SFB beteiligten Teilprojekte, deren anfängliche Skepsis gegenüber dem Podcast-Format sich verflüchtigte: „Seit Veröffentlichung der ersten Folge ist das Interesse an einer eigenen Podcast-Folge bei den übrigen Mitgliedern unseres Verbunds gestiegen“, sagt Hasselmann.
Die Herausforderung sei es, die Geschichten der Objekte komplex genug zu erzählen, sodass sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler darin wiedererkennen, und dafür eine kluge und unterhaltsame Form zu finden, damit es Spaß macht zuzuhören. „Wir müssen anders auf Themen zugreifen, als es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gewohnt sind“, erklärt Kristiane Hasselmann.
Seine Themen findet das Podcast-Team in der Vielfalt der im SFB versammelten Teilprojekte.
Das Interessante an „Hinter den Dingen“ ist die transdisziplinäre Zusammenführung der Expertise der verschiedenen am SFB beteiligten Disziplinen und Institutionen. Entsprechend tragen neben universitären Einrichtungen auch Museen ihren Teil bei. Olivia Zorn, stellvertretende Direktorin des Ägyptischen Museums, musste nicht lange überlegen, als ihr angetragen wurde, in der aktuellen Folge aufzutreten. „Es ist wichtig, sich zu öffnen“, findet sie, „denn man kann durch dieses Medium auch neues Publikum anziehen und zeigen, dass Museen nichts Verstaubtes sind.“
Seine Themen findet das Podcast-Team in der Vielfalt der im SFB versammelten Teilprojekte. Das verschollene Pyramidenfragment war ein Vorschlag aus der Ägyptologie – und überzeugte das Team sofort. „Wir versuchen, den Objekten ihre Geschichte zu entlocken, indem wir unsere Kolleginnen und Kollegen mit Fragen löchern“, sagt Hasselmann. „Dass wir selbst keine Altertumswissenschaftlerinnen sind, war in dem Fall sogar von Vorteil.“ Dass die Leserichtung bei Hieroglyphen variiert ist für Experten selbstverständlich, dem Laien-Publikum aber muss es im Podcast erklärt werden. „Wir nehmen uns viel Zeit, in die Themen einzutauchen, die Arbeitsweisen der Projekte zu verstehen und eine dem Objekt und der Disziplin entsprechende Formsprache zu entwickeln.“
Katrin Wächter ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am SFB "Episteme in Bewegung".
Bildquelle: Kate Riep
Der Podcast bietet Geschichten Raum, um sich entfalten zu können.
Dass dafür die Form des Hörstücks gewählt wurde, erklärt Katrin Wächter damit, dass sie Geschichten Raum bietet, sich entfalten zu können. Originaltexte können eingebaut, Soundeffekte genutzt, Zusammenhänge erklärt werden. Zudem sei es möglich, sagt die wissenschaftliche Mitarbeiterin, auch sehr unterschiedliche Arbeitsweisen und Untersuchungszeiträume abzubilden. Wissenschaft könne so über die Form des Erzählens vermittelt werden. Folgte die Episode über die rubinrote Teekanne einer barocken Erzählweise mit ausführlichen „Kapitelüberschriften“ und Cembalo-Musik, lehnt sich die Suche nach dem Pyramidenfragment dramaturgisch an archäologische Feldstudien an.
Der Podcast ist dabei selbst Forschungsprojekt. So wurde beispielsweise eine lautschriftliche Umsetzung der auf dem Pyramidenfragment aufgebrachten Hieroglyphen angefertigt. Es galt, diese lange ausgestorbene Sprache zum Leben zu erwecken: „Die akustische Darstellung des Altägyptischen war sehr knifflig“, erinnert sich Katrin Wächter. Sie suchten jemanden mit Arabischkenntnissen, der die ins Internationale phonetische Alphabet übersetzte Inschrift lesen und vortragen kann. Es glückte – und was man zu hören bekommt, erzeugt Gänsehautgefühl. Die Rekonstruktion, berichten die Macherinnen, sei offenbar so gut gelungen, dass sie schon zur Lehre in ägyptologischen Seminaren eingesetzt werde. Den eingelesenen vollständigen Text gibt es als Bonusmaterial zum Download.
Armin Hempel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am SFB "Episteme in Bewegung".
Bildquelle: Erika Borbély Hansen
Hinter dem Einsatz von Soundeffekten steckt eine durchdachte Strategie.
Ohnehin ist jedes der Hörstücke aufwendig und professionell produziert, sodass auch das Hörfunkprogramm Deutschlandfunk Kultur darauf aufmerksam und Medienpartner geworden ist. Bei der Erstellung der Drehbücher und dramaturgischen Umsetzung profitiert das Projekt von der Erfahrung des Drehbuchautors Jan Fusek. Die Musik für jede Folge wird von Armin Hempel komponiert, der zudem für die technische Umsetzung verantwortlich ist. Hinter dem Einsatz von Soundeffekten steckt eine durchdachte Strategie. Kristiane Hasselmann erklärt: „Wir arbeiten mit Geräuschen, die das, was wir erzählen, plastisch machen, aber nicht rein illustrativ wirken sollen.“ Es gehe nicht um die Herstellung möglichst authentischer Illusionen historischer Begebenheiten. Stattdessen spiele man bewusst auch mit ironischen Brechungen. Etwa indem die auf Altägyptisch eingesprochenen Parts schließlich durch das Hereinbrechen der realen Studiosituation als das vorgeführt werden, was sie sind: gemacht und trotz aller wissenschaftlichen Akribie doch spekulativ.
Die Premierenveranstaltung für die aktuelle Episode findet am 28. Februar im Neuen Museum auf der Museumsinsel statt – und war sofort ausgebucht. Weitere Termine sind daher in Planung. Eigens für diese Abende wird es für das verschwundene Pyramidenfragment eine leere Vitrine geben. Beleuchtet und mit Originalschild. Und das Fragment selbst? „Wir gehen davon aus“, sagt Kristiane Hasselmann, „dass es in irgendeiner Kiste eines Depots oder in einer Privatsammlung liegt.“ Und wenn auch nicht seinem Verbleib, so sind der Ägyptologe Stephan Hartlepp und mit ihm die Hörerinnen und Hörer des Podcasts doch immerhin seiner Herkunft auf die Schliche gekommen.
Sonderforschungsbereich „Episteme in Bewegung“
Der an der Freien Universität Berlin angesiedelte SFB „Episteme in Bewegung. Wissenstransfer von der Alten Welt bis in die Frühe Neuzeit“ ist ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderter Forschungsverbund, der Prozesse des Wissenswandels in europäischen und nicht europäischen Kulturen in der Vormoderne untersucht. Beteiligt sind neben der Freien Universität die Humboldt-Universität zu Berlin, das Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte sowie das Karlsruher Institut für Technologie mit insgesamt 24 geistes-, geschichts-, kunst- und kulturwissenschaftlichen Fachdisziplinen.