Pre-Research-Forum „New Health“
Ethik, Digitalisierung, Gesundheit – in einem neuartigen Veranstaltungsformat diskutierten Berliner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen
27.01.2019
Im obersten Stockwerk eines direkt an der East Side Gallery gelegenen ehemaligen Mühlenspeichers hat man einen guten Blick auf die Berliner Oberbaumbrücke, die die beiden Stadtteile Kreuzberg und Friedrichshain verbindet. Der Veranstaltungsort an der Spree bietet eine ungewöhnliche Perspektive auf das Treiben der Stadt: Die vielen Menschen in den Straßen wirken von dort oben wie kleine Miniaturen, ständig in Bewegung.
Ein guter Ort also, um über Ideen für Lösungen von gesellschaftlichen Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft zu diskutieren – und zwar Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur. Das Pre-Research Forum, das am 25. und 26. Oktober 2018 zum ersten Mal stattfand, ist ein innovatives transdisziplinäres Format der drei großen Berliner Universitäten – Freie Universität Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin und Technische Universität Berlin – sowie der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Das Thema war ethische Herausforderungen der Digitalisierung im Gesundheitsbereich. „Die großen Berliner Universitäten und die Charité wollen in der direkten Zusammenarbeit mit anderen gesellschaftlichen Stakeholdern Lösungen für drängende Fragen unserer Zeit entwickeln,“ erklärt Audrey Podann, promovierte Politologin und Referentin für das Projekt Transdisziplinarität, die das Pre-Research-Forum unter der Leitung von Professorin Christine Ahrend, erste Vizepräsidentin an der Technischen Universität Berlin, mitkonzipiert hat.
Die Digitalisierung wirft verstärkt ethische Fragestellungen auf, die größtenteils nicht neu sind, aber im Kontext der Digitalisierung neu diskutiert und ausgehandelt werden müssen. Gerade im Gesundheitsbereich ist eine breite gesellschaftliche Diskussion notwendig – über die Grenzen einzelner Disziplinen hinweg. Anderthalb Tage lang tauschten sich so rund 50 Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Kultur und Gesellschaft zu aktuellen Herausforderungen in Bezug auf Digitalisierung aus und entwickelten konkrete Bedarfe für weitere Forschung.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von allen drei großen Berliner Universitäten und der Charité aus unterschiedlichsten Disziplinen, etwa der Medizin, Ethik, Mathematik, Informatik oder dem Gesundheitsmanagement, konnten potenzielle Themen vorschlagen. Gemeinsam mit einem Projektteam an der Technischen Universität Berlin wurden daraus konkrete Fallbeispiele entwickelt. Drei davon schafften es dann in das Programm der Veranstaltung: Entwicklungen bei der automatisierten Diagnostik, Datentracking im Krankenhaus sowie der Einsatz von Pflegerobotern. Diese Themen wurden von drei Wissenschaftlern vorgestellt.
Prof. Dr. Marc Dewey der Charité stellt den Use Case „Automatisierte Diagnostik“ im Pre-Research-Forum vor.
Bildquelle: Felix Noak
Marc Dewey, Heisenberg-Professor für Radiologie an der Charité stellte neue Entwicklungen in der automatisierten Diagnostik in seinem Fachgebiet vor, also etwa die Auswertung von MRT-Bildern mithilfe künstlicher Intelligenz. Der „zweite Blick“ durch die Maschine unterstütze die Mediziner bei der Bewältigung der großen Zahl notwendiger Befunde und vereinfache so deren Arbeit. Problematisch, so Dewey, seien unter anderem jedoch der Schutz der sensiblen Patientendaten sowie die Frage, wer für eventuelle Diagnosefehler hafte. Der Arzt? Der Software-Hersteller?
Professor Matthias Weidlich, Informatiker an der Humboldt-Universität zu Berlin, stellte den Praxisfall des Datentracking im Krankenhaus vor. Durch die Ausstattung der Patientinnen und Patienten mit Sensoren, etwa zur Bestimmung ihres Aufenthaltsortes, könnten Prozessabläufe in Kliniken verbessert werden. Auch hier stellten sich jedoch Fragen des Datenschutzes sowie des Schutzes der Privatsphäre der Kranken – dies wurde auch im folgenden Workshop intensiv diskutiert.
Das dritte Fallbeispiel, vorgestellt von Matthias Rötting, Professor für Mensch-Maschine-Systeme an der Technischen Universität Berlin, beschäftigte sich mit dem Einsatz von Robotern als Assistenz für ältere Menschen in ihrem häuslichen Umfeld. Weltweit gibt es hierzu bereits erste Versuche, auch um Pflegekräfte zu unterstützen und zu entlasten. „Doch wie erleben das die Pflegebedürftigen?“ fragte Rötting. „Können Robotik-Systeme die menschliche Zuwendung bei der Pflege ersetzen?“
Möglichkeit, Impulse aus der Praxis für neue Forschungsideen einzubringen
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Pre-Research-Forums diskutierten die Fragen in drei transdisziplinären Arbeitsgruppen, von denen sich jede aus möglichst vielen Vertreterinnen und Vertretern unterschiedlicher Bereiche zusammensetzte. Für die Akteurinnen und Akteure aus Gesellschaft, Politik, Kultur und Wirtschaft bot sich so die Möglichkeit, aus ihren Arbeitsfeldern heraus aktuelle Forschungsergebnisse direkt mit Forschenden zu diskutieren und über Anwendungsbereiche nachzudenken.
Außerdem hatten sie so die Möglichkeit, selbst Impulse aus der Praxis für neue Forschungsideen einzubringen. „Ich bin erstaunt, dass Menschen mit sehr unterschiedlichen Hintergründen sich hier so gut austauschen und verstehen,“ sagte Maria Christina Caldarola. Die promovierte Juristin ist Geschäftsführerin der Beratungsfirma CU3IC Consultancy. „Es sollte ein Ziel der Universitäten sein, transdisziplinäres Denken und Forschen stärker zu unterrichten, denn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die das beherrschen werden dringend gebraucht.“
Teilnehmende aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft beim Pre-Research-Forum am 26.10.2018
Bildquelle: Felix Noak
Forschungsbedarf zeigt sich insbesondere in der Frage des Umgangs mit Daten
Am Ende hielten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer drei wichtige Bereiche fest, in denen ihrer Meinung nach künftig verstärkt geforscht werden sollte:
- Vertrauen & Akzeptanz: Wie erleben Menschen die neue Technologie? Wie kann gewährleistet werden, dass die Gesellschaft besser informiert ist?
- Datenerfassung & Datenschutz: Welche Modelle von Datentreuhänderschaft sind sicher und zuverlässig? Wie kann Transparenz und gleichzeitig Sicherheit von Daten geschaffen werden?
- Technik & Recht: Wie kann das Recht auf Selbstbestimmung – also etwa das Recht auf Nicht-Wissen über die persönliche gesundheitliche Lage – bewahrt werden? Welche rechtlichen Rahmenbedingungen sind für den Einsatz von Robotern in häuslicher Umgebung erforderlich?
„Die Ergebnisse aus der Projektevaluation bestätigen nicht nur das große Interesse aller Teilnehmenden, sondern ebenfalls die Notwendigkeit, auch zukünftige gesellschaftsrelevante Fragen und Prozesse transdisziplinär anzugehen und gemeinsam zu lösen“, erklärte Professorin Christine Ahrend. In einer Befragung nach der Veranstaltung gaben alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer – sowohl aus der Wissenschaft als auch aus anderen gesellschaftlichen Handlungsfeldern – an, dass sich die Veranstaltung für sie gelohnt habe und ihre Erwartungen erfüllt worden seien. Fast alle sind darüber hinaus an einer zukünftigen Zusammenarbeit interessiert. Die in den Arbeitsgruppen gemeinsam geschaffenen Positionen sollen 2019 in nachfolgenden Workshops ausgearbeitet werden, um konkreten Forschungsbedarf zu ermitteln.
Als langfristiges Ziel sollen im Rahmen des neuen Veranstaltungsformats daher gemeinsam neue Forschungsfragen entwickelt werden, die in transdisziplinäre Projekte münden, wie Christine Ahrend erklärt: „Künftige Veranstaltungen können auch andere gesellschaftlich relevante Themen in den Fokus nehmen, die durch ihren disziplinenübergreifenden Charakter idealerweise nur gemeinsam mit Partnerinnen und Partnern bearbeitet werden können.“