Angriff auf das eigene Gehirn
Neurologen der Berliner Charité erforschen gemeinsam mit Kollegen in Oxford eine neu aufgetretene Form der Hirnentzündung – die Autoimmunenzephalitis
12.12.2018
MRT-Bild eines Patienten mit einer autoimmunen Hirnentzündung. Vor allem Teile des Schläfenlappens (Pfeil) sind besonders häufig von der Entzündung betroffen.
Bildquelle: Harald Prüß
Es trifft überwiegend junge Frauen und Kinder und beginnt oft mit einem scheinbar harmlosen Infekt. Die Patientinnen und Patienten fühlen sich unwohl, haben Kopf- und Gliederschmerzen. Dann entwickeln alle eine Psychose, die unterschiedlich stark sein kann – mit Wahnvorstellungen, Halluzinationen bis hin zu Suizidgedanken. Das führt zu einer Einweisung in die Psychiatrie, aufgrund des jungen Alters der meisten Patienten oft mit der Verdachtsdiagnose „Drogen induzierte Psychose“. „Im Grunde haben diejenigen fast Glück, die dann neurologische Komplikationen entwickeln: Dreiviertel bekommen epileptische Anfälle, Bewegungs- oder Bewusstseinsstörungen. Denn so kommen sie in die Neurologie, wo erstmals die richtige Diagnose gestellt wird“, erklärt Harald Prüß, Neurologe an der Charité – Universitätsmedizin Berlin.
Der Nachweis der Krankheit sei im Grunde simpel, erklärt Prüß: In der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit finden sich Antikörper gegen den NMDA-Rezeptor, ein Protein, das bei der Signalübertragung im Gehirn eine wichtige Rolle spielt. „Die Antikörper führen zur Einstülpung des Rezeptors in die Nervenzelle und können so beim Betroffenen ein buntes Bild an Symptomen erzeugen.“ In vielen Fällen eben das Bild einer schweren Hirnentzündung, die intensivmedizinisch behandelt werden muss.
Der Neurologe Harald Prüß erforscht, wie sich Patienten mit Autoimmunenzephalitis effektiver behandeln lassen.
Bildquelle: privat
Die sogenannte Anti-NMDA-Rezeptor-Autoimmunenzephalitis wurde erstmals vor elf Jahren diagnostiziert. Erstaunlich, denn es ist die häufigste Autoimmun-Hirnentzündung beim Menschen. An der Charité erforschen Prüß und seine Kollegen, was der Antikörper genau macht. „Es deutet sich an, dass er wie eine Droge oder ein Gift direkt schädlich auf die Nervenzelle wirkt.“ Für Neurologen ist dies ein ganz neues Phänomen, dem die Berliner Forschergruppe nun gemeinsam mit dem Team des Mediziners Sarosh Irani von der Universität Oxford nachgehen will. Irani betreut ebenfalls Patientinnen und Patienten mit Autoimmunenzephalitis und forscht entsprechend zu einem ähnlichen Thema. „Wir wollen herausfinden, was die Antikörper genau tun“, sagt Prüß. „Was führte dazu, dass Menschen sie überhaupt entwickeln? Und welche Rolle spielen bestimmte Immunzellen dabei?“
Seit der Entdeckung des ersten Antikörpers wurden mehr als 30 weitere gefunden, die eine vergleichbare Krankheit auslösen. Und alle drei bis sechs Monate kommt ein weiterer hinzu. Manche binden an Ionenkanäle, andere an Zelladhäsionsmoleküle, Proteine, die unter anderem die Kommunikation von Zellen miteinander ermöglichen. Und wieder andere Antikörper blockieren Wasserkanäle in der Zellwand der Neuronen. „Die Wirkprinzipien sind unterschiedlich, aber allen gemein ist, dass sie im Gehirn oder dem zentralen Nervensystem ansetzen und dort beträchtlichen Schaden anrichten können“, erläutert Harald Prüß.
Je schneller die Krankheit erkannt und mit der Therapie begonnen wird, desto geringer sind die Folgeschäden.
Wie wird eine Autoimmunenzephalitis behandelt? Zunächst müssen die Antikörper aus dem Körper heraus. Das geschieht durch Blutwäsche mittels Plasmaaustausch oder Immunadsorption, bei der Plasma im Blutkreislauf von Autoantikörpern und Immunkomplexen gereinigt wird. Damit ist die Gefahr aber noch nicht gebannt, denn die Antikörper-produzierenden Zellen kursieren noch im Blut. „Sie werden in der Regel durch eine längere Behandlung mit einem aus der Krebstherapie bekannten monoklonalen Antikörper entfernt, der diese Zellen gezielt ausschaltet“, sagt Prüß. Nur knapp fünf Prozent der Patientinnen und Patienten erleiden danach einen Rückfall.
Wie erfolgreich die Behandlung im Einzelfall ist, hängt wesentlich davon ab, wie schnell die Krankheit erkannt und mit der Therapie begonnen wird. Können die Antikörper nur kurz einwirken, sind auch die Folgeschäden minimal. „Denn anfangs blockieren sie nur bestimmte Rezeptoren, was die Nervenzelle noch ausgleichen kann“, erklärt Prüß. Bleibt die Erkrankung jedoch über Wochen und Monate unbehandelt, sind die Schäden irreversibel.
Auch wenn glücklicherweise nur eine geringe Zahl der Patienten mit schwersten Defiziten zurückbleibt, haben die meisten leichte Beeinträchtigungen, dazu gehören Störungen der Affektkontrolle, sie sind impulsiver, weniger belastbar als vorher und können nicht mehr in Vollzeit arbeiten. Doch vielen gehe es dank der Therapie gut, sagt Prüß. „Über 100 Patienten mit einer Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis haben wir allein an der Charité bisher behandelt. Dreiviertel von ihnen konnten wieder in die Schule oder den Beruf zurückkehren.“