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Vom Acker bis zum Teller

Das Forschungsnetzwerk FoodBerlin arbeitet an den Ernährungssystemen der Zukunft: Wie können Menschen künftig ernährt werden, ohne dass die Gesundheit, Tiere oder Umwelt leiden?

23.10.2018

Träger des Netzwerks FoodBerlin sind die Freie Universität Berlin, die Humboldt-Universität zu Berlin, die Technische Universität Berlin und die Universität Potsdam.

Träger des Netzwerks FoodBerlin sind die Freie Universität Berlin, die Humboldt-Universität zu Berlin, die Technische Universität Berlin und die Universität Potsdam.
Bildquelle: icon0.com / Pexels

Jede Minute wächst die Bevölkerung auf der Erde um 157 Menschen, schätzt die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung. Schon 2050 werden mehr als neun Milliarden Menschen den Planeten bevölkern. Wie kann man sie nachhaltig ernähren? Lässt sich Nahrung produzieren, ohne Luft und Landschaft zu ruinieren und das Tierwohl zu vernachlässigen?

Nicht nur die Menge der Nahrung ist ein Problem, auch die Qualität und die Sicherheit der Lebensmittel. Partner aus der Hauptstadtregion Berlin und Brandenburg haben den Forschungsverbund FoodBerlin aufgebaut, um nach Lösungen im Sinne einer nachhaltigen Ernährungssicherung zu suchen.

Träger dieses Netzwerks sind die Freie Universität Berlin, die Humboldt-Universität zu Berlin, die Technische Universität Berlin und die Universität Potsdam. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dieser Universitäten und weiterer Institutionen, zum Beispiel des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung, des Bundesinstituts für Risikobewertung oder des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei, haben sich zusammengetan, um dieses zukunftsweisende Thema in der Hauptstadtregion gemeinsam zu bearbeiten.

„Wenn Sie mit einem Zirkel einen Kreis um Berlin ziehen, kommen Sie auf ganz viele interessante Kooperationspartner“, sagt Jürgen Zentek, Professor am Institut für Tierernährung der Freien Universität Berlin und Sprecher von FoodBerlin. Er möchte das Netzwerk zu einem regionalen Kompetenzzentrum weiterentwickeln, an dem nicht nur geforscht wird: Geplant sind ein verstärkter Austausch mit der Politik und mit anderen Partnern wie dem Cluster Ernährungswirtschaft in Brandenburg, aber auch mit all jenen, die Nahrungsmittel erzeugen – wie etwa Landwirte. Im Netzwerk FoodBerlin sollen unter dem Motto „vom Feld bis zum Teller“ Erzeugung und Verarbeitung mit der Forschung zusammengebracht werden.

Jürgen Zentek ist Professor am Institut für Tierernährung der Freien Universität Berlin und Sprecher von FoodBerlin.

Jürgen Zentek ist Professor am Institut für Tierernährung der Freien Universität Berlin und Sprecher von FoodBerlin.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

„Ernährung ist ja gerade ein Mega-Thema, aber viel zu komplex für einfache Lösungen“, sagt Zentek. „Wir haben hier in Berlin und Brandenburg die Disziplinen, um alle Stufen der Ernährungskette zu betrachten, Experten in den Boden- und Pflanzenwissenschaften, in der Veterinärmedizin mit dem Fokus auf Tiergesundheit und Lebensmittelsicherheit, in der Lebensmitteltechnologie und in den Ernährungswissenschaften.“ So lassen sich komplexe Themen vom Anbau der Nahrungsmittel, über die Produktionstechniken bis hin zu Gesundheitsfragen wissenschaftlich untersuchen, ohne isoliert zu arbeiten und übergeordnete Zusammenhänge zu vernachlässigen.

Bereits zehn Prozent von allen Deutschen verzichten auf den Verzehr von Fleisch.

Außerdem sind in der Großstadt Berlin gut Ernährungstrends zu beobachten. „Wenn ich an der Uni in der Mensa bin, holt sich da heute die Hälfte der Studierenden vegetarisches Essen“, berichtet der emeritierte Professor Richard Lucius, ehemaliger Dekan der Lebenswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität und Koordinator von FoodBerlin. Von allen Deutschen verzichten laut Vegetarierbund Deutschland bereits zehn Prozent auf den Verzehr von Fleisch.

Der in Berlin sehr ausgeprägte vegane Ernährungsstil, bei dem alle tierischen Produkte – also etwa auch Milch und Honig – weggelassen werden, ist für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich mit einheimischen Pflanzenproteinen beschäftigen, ebenfalls interessant. Auch die Bundesregierung interessiert sich dafür, Deutschland durch den Anbau heimischer Leguminosen-Arten, also Hülsenfrüchtler wie Ackerbohnen, Erbsen oder Lupinen unabhängiger von Soja-Importen werden zu lassen. Die „Eiweißpflanzenstrategie“ des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft räumt der Leguminosenforschung eine zentrale Rolle ein – ein bedeutendes Thema auch für FoodBerlin. Ein wichtiges Glied in der Kette der Lebensmittelproduktion sind zudem die Erzeugerinnen und Erzeuger: Wie kann man unterstützen, dass einheimische Landwirte trotz strenger Auflagen gegen die internationale Billig-Konkurrenz bestehen und einen angemessenen Lebensunterhalt verdienen können?

Ernährungstrend: An der Freien Universität wurde die erste vegetarische Mensa eröffnet, die „Veggie No 1“.

Ernährungstrend: An der Freien Universität wurde die erste vegetarische Mensa eröffnet, die „Veggie No 1“.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Unter dem Dach von FoodBerlin beschäftigt sich ein Team damit, wie man Proteinquellen besser verwerten kann, etwa die Eiweiß-Rückstände aus dem regionalen Rapsanbau. „Wir können natürlich mit FoodBerlin nicht wahllos jedem Trend folgen, Wissenschaft sollte aber aktuelle Themen aufgreifen“, stellt Zentek klar. Mit der Einstellung der Verbraucherinnen und Verbraucher befasst sich das Netzwerk auch aus psychologischer Sicht, zum Beispiel wenn es darum geht, wie Konsumentinnen und Konsumenten zu Themen wie Bio-Produkten oder Robotik in der Landwirtschaft stehen.

Dass eine Innovation zum Zeitgeist passt, macht sie noch nicht zur Lösung für die globale Ernährungsfrage. Zentek nennt als Beispiel Molkereien, die ihre Milch nur von Bauern beziehen, die Kraftfutter ohne genetisch veränderte Sojabohnen produzieren. „Würden alle großen Unternehmen diesem Beispiel folgen, wäre schnell klar: So große Proteinmengen kann man derzeit nicht bereitstellen. Daher müssen entsprechende einheimische Alternativen entwickelt werden.“

FoodBerlin arbeitet konsequent interdisziplinär.

Um belastbare Erkenntnisse zu gewinnen, mit denen Produktionsketten verbessert und Alternativen entwickelt werden können, arbeitet FoodBerlin konsequent interdisziplinär. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Bereich Botanik erforschen Strategien des Pflanzenbaus, andere, aus der Entomologie, können einschätzen, welche Insektenarten sich direkt als Nahrungsquelle für Menschen oder Tiere eignen, wenn man sie gezielt in Produktionskreisläufe integriert. Landwirtinnen und Landwirte bringen ihre Expertise über Böden, Tierhaltung und Tierzucht ein. Forscherinnen und Forscher aus der Agrarökonomie befassen sich mit den Warenströmen. Tiermedizinerinnen und -mediziner forschen über Tiergesundheit, Lebensmittelqualität und -sicherheit und natürlich auch zum Thema Tierschutz in der Nutztierhaltung. Kolleginnen und Kollegen aus der Ernährungswissenschaft haben die Wechselwirkungen von Ernährung und Gesundheit im Blick, auch im Sinne von „One Health“: die Gesundheit von Mensch und Tier hat eine gemeinsame Basis. Psychologinnen und Psychologen sind involviert, um das Konsumverhalten und die Akzeptanz von Technologien zu berücksichtigen.

Richard Lucius ist ehemaliger Dekan der Lebenswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin und Koordinator von FoodBerlin.

Richard Lucius ist ehemaliger Dekan der Lebenswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin und Koordinator von FoodBerlin.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

An der Freien Universität befassen sich zahlreiche Arbeitsgruppen mit Themen, die eine Verbesserung der Tiergesundheit zum Ziel haben. Dazu zählt auch die Erforschung von Antibiotikaresistenzen und die Suche nach Möglichkeiten, dieses Problem in der Tierhaltung zu reduzieren. Strategien zur Verbesserung der Lebensmittelsicherheit sind ein zunehmend wichtiges Thema für die Veterinärmedizin – etwa die Reduktion von Risiken durch Bakterien, die über Lebensmittel tierischer Herkunft auf den Menschen übertragen werden können.

Ein Team der Humboldt-Universität erhielt 2014 den Deutschen Nachhaltigkeitspreis für Gewächshäuser, die mithilfe gespeicherter Solarenergie gut 70 Prozent Heizkosten und zudem Wasser sparten. In einem anderen Projekt in Kooperation mit dem Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei werden die Züchtung von Tilapia-Fischen und der Anbau von Tomaten kombiniert, um schonender mit Ressourcen umzugehen.

Diese beiden Teams tun sich nun mit weiteren Forscherinnen und Forschern zusammen, um autarke Container-Systeme zu entwickeln: mobile Farmen mit eigenen Nahrungskreisläufen, die sich in großer Stückzahl herstellen lassen. Vielleicht sieht so die Gemüseproduktion von morgen aus. Große Handelsketten sind schon als Projektpartner beteiligt.

Ein Etappenziel für die kommenden Jahre: FoodBerlin möchte als Forschungsverbund mit einem breiten Arbeitsfeld präsent sein. Wie viele Menschen im Jahr 2050 versorgt werden müssen und wie dann die Speisepläne weltweit aussehen, können natürlich auch die Ernährungsexpertinnen und -experten nicht voraussagen. Als 2011 das von den Vereinten Nationen bestimmte Erdenkind Nummer 7.000.000.000 geboren war, kamen die UN-Vertreter ganz klassisch mit Kuchen vorbei. Bei Erdenkind Nummer 9.000.000.000 sind es dann vielleicht vegane Muffins oder Insekten-Lollies, wer weiß.

Schlagwörter

  • Forschung
  • Interdisziplinarität
  • Lebenswissenschaften
  • Nachhaltigkeit/Umwelt