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Open Access für die Geschlechterforschung

Das weltweit einmalige Online-Repositorium GenderOpen von Freier Universität Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin und Technischer Universität Berlin macht Ergebnisse der Geschlechterforschung im Internet frei zugänglich.

23.07.2018

Herkömmliche Repositorien bewahrten Schriftstücke und Bücher auf – diese mussten regelmäßig gereinigt werden. Elektronische Repositorien bedürfen leistungsfähiger Rechnernetze.

Herkömmliche Repositorien bewahrten Schriftstücke und Bücher auf – diese mussten regelmäßig gereinigt werden. Elektronische Repositorien bedürfen leistungsfähiger Rechnernetze.
Bildquelle: Three Men at Dusting Books, The New York Public Library Digital Collections

Noch 2012 blickten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Geschlechterforschung meist kritisch auf das digitale Publizieren und Open-Access, also Publikationen, die im Internet frei verfügbar sind. Das war das Ergebnis einer von 2010 bis 2012 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Untersuchung zum Publikationsverhalten innerhalb der Geschlechterforschung. Diese Analyse wurde zum Ansporn für ein neues Projekt: „GenderOpen – ein Repositorium für die Geschlechterforschung“. Ziel war es, einen elektronischen Speicherort zu schaffen, wo Ergebnisse der Geschlechterforschung als Zweitveröffentlichung verfügbar sind.

„Ich bin überzeugt, dass Open Access die Zukunft gehört, und die Entwicklung wollte ich für die Geschlechterforschung mitgestalten“, sagt die promovierte Literaturwissenschaftlerin Anita Runge, die die damalige Untersuchung zum Publikationsverhalten leitete „Viele Forschende hatten die Sorge, dass sie sich mit Open Access ins doppelte Aus katapultieren“, sagt Anita Runge, So habe die Geschlechterforschung immer noch Anerkennungsprobleme, und viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fürchteten, mit alternativen Publikationswegen – außerhalb traditionell gedruckter Monografien und Fachzeitschriften in renommierten Verlagen – nicht wahrgenommen zu werden.“ Es gelang Anita Runge, zwei Kolleginnen der Humboldt-Universität zu Berlin und der Technischen Universität Berlin ins Boot zu holen: Sabine Hark, Soziologie-Professorin und Leiterin des Zentrums für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung der Technischen Universität Berlin, und Karin Aleksander, promovierte Philosophin und Bibliothekswissenschaftlerin, die die Bibliothek des Zentrums für transdisziplinäre Geschlechterstudien der Humboldt-Universität zu Berlin leitet. „Ich war sofort von der Modernität der Aufgabe überzeugt“, sagt Karin Aleksander. „Es ist das weltweit erste Repositorium für die inter- und transdisziplinäre Geschlechterforschung.“

"Das Projekt bringt unterschiedliche wissenschaftliche Communities zusammen."

Gemeinsam erarbeiteten sie den Projektantrag für GenderOpen – und dieser wurde 2016 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft bewilligt. Das Projekt wird über zunächst zwei Jahre mit 500.000 Euro gefördert. Zehn Teammitglieder waren vom Start im Oktober 2016 bis zur Freischaltung der elektronischen Plattform im Dezember 2017 unermüdlich im Einsatz: Sie machten das Projekt bekannt, warben um Unterstützung und räumten Vorbehalte aus: bei Arbeitsgruppen, auf Fachtagungen und Kongressen im Bibliothekswesen, in der Open-Access-Community und in der Geschlechterforschung. „Das Projekt hat so auch unterschiedliche wissenschaftliche Communitys zusammengebracht“, sagt Sabine Hark von der Technischen Universität. Die Mitglieder des Teams erarbeiteten die technische Infrastruktur, entwickelten Funktionalitäten und digitalisierten Inhalte. Dabei konnten sie auf den jeweils langjährigen Stärken der Universitäten aufbauen: auf den Kompetenzen im Bibliothekswesen und zu Metadaten an der Humboldt-Universität, den Erfahrungen mit Open Access und der Förderung von Publikationen der Geschlechterforschung an der Freien Universität und den Forschungen zur institutionellen Situation der Gender Studies an der Technischen Universität.

Das GenderOpen-Team (v.l.n.r): Eva-Lotte Rother, Sarah Staeck, Dr. Agnes Mühlmeyer-Mentzel, Dr. Karin Aleksander, Dr. Marianne Seidig, Dr. Aline Oloff, Dr. Anita Runge, Mareike Trawnik, Prof. Dr. Sabine Hark, Andreas Heinrich, Sophie Eichhorst.

Das GenderOpen-Team (v.l.n.r): Eva-Lotte Rother, Sarah Staeck, Dr. Agnes Mühlmeyer-Mentzel, Dr. Karin Aleksander, Dr. Marianne Seidig, Dr. Aline Oloff, Dr. Anita Runge, Mareike Trawnik, Prof. Dr. Sabine Hark, Andreas Heinrich, Sophie Eichhorst.
Bildquelle: TU Berlin / Alexander Rentsch

Bei der Akquise von Inhalten ging das Projektteam von Anfang an zwei Wege. „Wir verhandeln mit Verlagen über Konvolute von Zeitschriften“, erläutert Anita Runge. „Und wir haben uns an bedeutende ältere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Feldes gewandt, mit dem Wunsch, deren Lebenswerk zu veröffentlichen – sie sollen Botschafterinnen und Botschafter des Projekts sein.“ Sabine Hark hebt hervor, welch große Herausforderung es gewesen sei, eine juristisch robuste Lösung für alle Beteiligten zu finden – für das Repositorium, für die Verlage und für die Autorinnen und Autoren selbst. Mit dem Projekt wolle das Team längerfristig die Art der Recherche in der Geschlechterforschung beeinflussen, sagt Karin Aleksander. Schon heute verflüssigten digitale Publikationen die Grenzen traditioneller Bibliothekskataloge; zukünftig würden immer mehr communityspezifische Rechercheinstrumente geschaffen, und es werde der inter-/transdisziplinäre Charakter von Forschungsthemen deutlicher, wenn sie mit abgestimmten Suchworten verschlagwortet würden, prognostiziert Karin Aleksander. Außerdem sollen Forscherinnen und Forscher dafür gewonnen werden, von sich aus die Zweitveröffentlichung ihrer Publikationen von Anfang an zu planen. Denn für Sabine Hark steht fest: „Das Repositorium erleichtert das Auffinden von Texten der Geschlechterforschung, weil hier Bestände digital zusammengeführt werden, die in analogen Bibliotheken oft verstreut über die traditionellen Fächer katalogisiert sind.“ „Außerdem sind dort Artikel aus Sammelbänden und auch vielen Zeitschriften bisher nicht als Dokumenttyp erfasst und verschlagwortet – was das Repositorium erstmals bietet“, hebt Karin Aleksander hervor.

"Das Auffinden von Texten der Geschlechterforschung wird erleichtert."

Nach Einschätzung der Projektleiterinnen ist es insgesamt gelungen, technische, juristische und inhaltliche Grundlagen zu entwickeln, die für andere Open-Access-Projekte und -Zeitschriften der Geschlechterforschung nützlich und Vorbild sein können. „Wir haben juristische und technische Standards, die die meisten anderen digitalen Repositorien nicht erreichen“, betont Sabine Hark. Die erarbeiteten rechtssicheren und verständlichen juristischen Regelungen wurden ergänzend zum Kerngeschäft des Repositoriums ebenfalls frei im Open Access zur Verfügung gestellt. Außerdem bietet eine Schlagwortliste von etwa 500 Begriffen erstmals die Möglichkeit, die Inhalte des eigenen Artikels beim Hochladen standardisiert zu erfassen. Zukünftig können diese Erfahrungen für neue Rechercheinstrumente genutzt werden, etwa beim Aufbau eines Thesaurus für die Geschlechterforschung.

Im Repositorium sind inzwischen rund 400 Artikel im Open Access verfügbar. Viele andere sind von Verlagen bereits in digitalen Versionen bereitgestellt worden und können, wenn die Einverständniserklärungen der Autorinnen und Autoren vorliegen, hochgeladen und freigeschaltet werden. Darunter sind große Konvolute: Sie enthalten zum Beispiel alle Aufsätze von „FEMINA POLITICA, Zeitschrift für Feministische Politikwissenschaft“ und die kompletten Jahrgänge der seit 1982 erscheinenden „Feministischen Studien“. Derzeit werden vorwiegend bereits veröffentlichte Artikel und Monografien ins Repositorium aufgenommen, möglich sind auch Erstveröffentlichungen von Dissertationen oder Habilitationsschriften. Für weitere Dokumentarten – zum Beispiel Projektberichte und Gutachten aus Ministerien oder Archivalien – werden im weiteren Projektverlauf passgenaue Einreichungsroutinen erarbeitet.

"Das Repositorium bringt auch neue forschungsethische und technische Fragen mit sich."

Das langfristige Ziel ist es, die Ergebnisse der Geschlechterforschung der vergangenen 50 Jahre nachhaltig zu sichern und für Forschung und Lehre frei verfügbar zu machen. Zukünftig sollen nicht allein die Forschungsergebnisse im Open Access zugänglich sein, sondern auch die zugrundeliegenden Forschungsdaten, zum Beispiel Interviews oder Erhebungen. „Das bringt neue forschungsethische und technische Herausforderungen mit sich“, erläutert Anita Runge. „Persönlichkeitsrechte müssen strikt gewahrt werden, für multimediale Inhalte werden neue technische Lösungen benötigt.“

Ebenfalls mit dem Ziel, die Publikationsgepflogenheiten in der Geschlechterforschung zu modernisieren, ist im Juni 2018 ein weiteres Projekt an den Start gegangen: die „Open Gender Platform“, die Raum für Erstveröffentlichungen von Zeitschriftenartikeln bieten soll. Das Projekt wird von Anita Runge am Margherita-von-Brentano-Zentrum der Freien Universität geleitet und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit knapp 275.000 Euro über zwei Jahre gefördert. Die im Rahmen von GenderOpen erarbeiteten Open-Access-Konzepte für die Geschlechterforschung werden auch für das neue Projekt maßgeblich sein. Und aufgrund der erfolgreichen Kooperation des Teams vom GenderOpen-Projekt an den drei Berliner Universitäten gibt es womöglich bei den künftigen Autorinnen und Autoren weniger Skepsis und Vorbehalte auch hinsichtlich Erstveröffentlichungen auszuräumen.