Universität in der Stadt
Die Ausstellung „Architekturen der Wissenschaft“ zeigt, wie Wissenschaftsbauten das Berliner Stadtbild prägten
12.07.2018
Im 19. Jahrhundert zog die Berliner Universität in das direkt neben der Königswache gelegene Prinz-Heinrich-Palais, das noch heute Hauptgebäude der Humboldt-Universität zu Berlin ist.
Bildquelle: Humboldt-Universität zu Berlin
Ein Hof für Hühner und Kaninchen und ein Zimmer für magnetische und electrische Arbeiten, eine Mädchenstube und ein Privatlaboratorium – alles in unmittelbarer räumlicher Nähe und unter einem Dach. Der Grundriss des Komplexes für die Naturwissenschaften, 1873 bis 1883 zwischen Reichstags-Ufer und Dorotheenstraße erbaut, zeigt, wie Ende des 19. Jahrhunderts geforscht wurde. Vier Institute beherbergte das Gebäude, das einen ganzen Block umfasste. Um von den Privaträumen, in denen die leitenden Wissenschaftler mit ihren Familien lebten, etwa zu einem chemischen Labor zu kommen, mussten sie nur über einen Korridor gehen – und um sich mit einem Kollegen im Vivisectorium über ein präpariertes Versuchstier interdisziplinär zu verständigen, nur ein paar Gänge weiter. Der Grundriss gehört zu den Lieblingsobjekten von Gabriele Metzler, Professorin für die Geschichte Westeuropas und der transatlantischen Beziehungen an der Humboldt-Universität, die gemeinsam mit dem habilitierten Wissenschaftshistoriker Arne Schirrmacher eine kleine, aber detailreiche und informative Ausstellung über die Geschichte der Universitäts- und Wissenschaftsbauten in Berlin kuratiert hat. Sie zeigt, wie seit Anfang des 19. Jahrhunderts Stadt- und Universitätsentwicklung ineinandergreifen.
Der riesige Gebäudekomplex in bester Lage – in unmittelbarer Nähe des Reichstags – erzählt vom Aufstieg der Naturwissenschaften als Leitdisziplinen Ende des 19. Jahrhunderts, aber auch von der „Arbeitsteilung in der Forschung“ und der „Verbindung von Wissenschaft und Leben“, wie Gabriele Metzler erklärt. Heute beherbergt er als Robert-Koch-Forum das Einstein Center Digital Future, eine Gemeinschaftseinrichtung der drei großen Berliner Universitäten und der Charité; der im Krieg zerstörte Teil am Spreeufer wurde durch das neugebaute Hauptstadt-Studio der ARD ersetzt.
Der Grundriss des Gebäudekomplexes für die Naturwissenschaften zeigt, welche Institute zwischen Reichstags-Ufer und Dorotheenstraße angesiedelt waren.
Bildquelle: Physikalisches Institut, Reichstagsufer, Grundriss, AIV, Archiv Berlin und seine Bauten
Zunächst jedoch hatte die Berliner Universität keine eigenen Bauten. „Es war üblich, dass Universitäten in aufgelassenen Klöstern oder Adelspalästen untergebracht wurden“, sagt Gabriele Metzler. So auch in Berlin, wo die Universität in das Prinz-Heinrich-Palais zog, noch heute das Hauptgebäude der Humboldt-Universität, das erst im 20. Jahrhundert um zwei Flügelbauten an der Nordseite erweitert wurde. Doch rasch brauchten die Wissenschaftler mehr Platz. Vorreiter war die Chemie, denn mit diesen Kollegen wollte sich bald niemand mehr die Gebäude teilen: „Die Experimente waren gefährlich und man roch es im ganzen Haus“, erzählt die Professorin. Die Chemiker zogen Unter den Linden aus und bekamen neue Laborräume in der kaum 100 Meter entfernten Georgenstraße.
Die großen repräsentativen Gebäude, die Ende des 19. Jahrhunderts überall in Europa entstehen, zeugen vom wachsenden Selbstbewusstsein der Universitäten als Wissenschaftseinrichtungen. So etwa das Polytechnikum in Charlottenburg, von dem sich heute noch Teile hinter der nachkriegsnüchternen Fassade des Hauptgebäudes der Technischen Universität verbergen, und das in den Gründerjahren der Wissenschaft 1878 bis 1884 errichtet wird: In der Hauptstadt des neugegründeten deutschen Reiches inszenieren sich Forschung und Technik als Motoren des gesellschaftlichen Fortschritts.
„Monumentale Hauptgebäude demonstrieren den Anspruch der Hochschulen, in die Gesellschaft hineinzuwirken“
In der Ausstellung „Architekturen der Wissenschaft. Die Universitäten Berlins in europäischer Perspektive“, die zum europäischen Kulturerbejahr entstanden ist, werden auch immer wieder Brücken zu anderen Metropolen Europas geschlagen. „Monumentale Hauptgebäude entstehen in dieser Zeit in vielen Städten – wie das Eidgenössische Polytechnikum in Zürich, die Hauptgebäude der Universitäten in Wien und Straßburg“, sagt Gabriele Metzler. „Sie demonstrieren den Anspruch der Hochschulen, in die Gesellschaft hineinzuwirken, sichtbar zu sein.“
Spätestens um die Jahrhundertwende wird der Raum in Berlins Mitte knapp, und die Idee kommt auf – vertreten unter anderem durch den Wissenschaftspolitiker Friedrich Althoff – die Universität an die Peripherie zu verlegen. Dahlem ist hierfür im Gespräch. Doch die Wissenschaftler wollten nicht umziehen, erzählt Gabriele Metzler, sondern „innerstädtisch verankert“ bleiben. Erst 50 Jahre später wird die Freie Universität aus politischen Gründen in Dahlem gegründet. „Sie kann Teile der Gebäude der Max-Planck-Gesellschaft übernehmen und sich in Villen einrichten.“ In den 1960er Jahren entstehen auch hier neue Bauten, wie etwa die „Rostlaube“, eine modulare, leichte und bewusst anti-repräsentative Architektur, entworfen vom Pariser Architekturbüro Candilis Josic Woods.
Zu DDR-Zeiten wird über einen Umzug der Humboldt-Universität nach Blumberg, in der Nähe von Ahrensfelde, oder Adlershof nachgedacht. Dass dieses Vorhaben mit einem Umzug der Naturwissenschaft nur teilweise und erst nach 1989 realisiert wird, habe wohl auch am Einfluss der Staatssicherheit gelegen, die in Adlershof ein Wachregiment unterhielt und ein Veto gegen die Umzugspläne der Humboldt-Universität einlegte, sagt Gabriele Metzler.
Das repräsentative Polytechnikum in Charlottenburg, errichtet zwischen 1878 und 1884, zeugte vom wachsenden Selbstbewusstsein der Universitäten als Wissenschaftseinrichtungen.
Bildquelle: Wikipedia Zeno-org ID number 20000570788
Ob in Dahlem, Charlottenburg oder Mitte, die Berliner Universitäten blieben immer Teil der Stadt. Berliner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler forschen auch heute noch zwischen Villen oder Bürogebäuden, Unternehmen und Ministerien. Die Idee einer Campusuniversität konnte sich nie durchsetzen. Sie war allerdings in den 1930er Jahren Teil der Umbaupläne der Nationalsozialisten für Berlin zur „Reichshauptstadt Germania“, die nach römischen Vorbild eine Stadt der Wissenschaft in der Nähe des Olympia-Stadions errichten wollten, sagt Gabriele Metzler: „Wissenschaft als Eingangstor zur Stadt“. Doch der Krieg verhinderte diesen gigantomanischen Plan; zahlreiche Wissenschaftsbauten – auch das Hauptgebäude der Humboldt-Universität – wurden beschädigt oder zerstört.
„Heute sehen wir zwei neue Entwicklungen: Hochtechnisierte Zweckbauten und spektakuläre Gebäude, oft entworfen von Star-Architekten.“
Und wie prägen Wissenschaftsbauten heute das Stadtbild? „Wir können heute zwei neue Entwicklungen erkennen“, erklärt Gabriele Metzler, die gemeinsam mit Arne Schirrmacher auch einen Architekturführer durch die Wissenschaftsquartiere Berlins vorbereitet. Zum einen entstünden hochtechnisierte Zweckbauten, zum anderen „Solitäre“, für die man Star-Architekten zu gewinnen versuche. Dazu zählten die spektakulären Bibliotheksbauten wie die Philologische Bibliothek der Freien Universität, entworfen von Sir Norman Forster, das Grimmzentrum von Max Dudler, aber auch das Rhoda-Erdmann-Haus des Instituts für Biologie der Humboldt-Universität auf dem Charité-Gelände in Mitte mit dem Spitznamen „Grüne Amöbe“, das erst vor zwei Jahren eröffnet wurde. Das Gebäude versuche gerade nicht, sich behutsam in die Stadt zu integrieren, sagt die Professorin, entfalte aber gerade deshalb eine enorme Wirkung. Die Wissenschaft, sie bleibt also sichtbar in Berlin.
Weitere Informationen
„Architekturen der Wissenschaft. Die Universitäten Berlins in europäischer Perspektive“
Die Ausstellung an der Humboldt-Universität zu Berlin
Die Ausstellung ist bis zum 30. Juli 2018 im Foyer der „Kommode“ am Bebelplatz, der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu sehen. Öffnungszeiten Montag bis Freitag 9 bis 18 Uhr.
Die Ausstellung an der Technischen Universität Berlin
Vom 23. November 2018 bis zum 27. Januar 2019 ist die Ausstellung montags bis freitags von 9 bis 18 Uhr an der Technischen Universität Berlin zu sehen (Hauptgebäude, Lichthof, Straße des 17. Juni 135, 10623 Berlin).
Die Ausstellungseröffnung findet im Rahmen des European Cultural Heritage Year 2018 am 22. November 2018 um 18 Uhr statt.