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Die dunkle Seite der Kunst

Kunsthistorikerin und Leibniz-Preisträgerin Bénédicte Savoy auf den Spuren der transnationalen Geschichte von Museumsobjekten.

14.08.2017

Bénédicte Savoy ist Professorin für Kunstgeschichte an der Technischen Universität Berlin.

Bénédicte Savoy ist Professorin für Kunstgeschichte an der Technischen Universität Berlin.
Bildquelle: David Ausserhofer

Wem gehört die Schönheit? Wem gehören Kunst und andere Objekte in unseren Museen? Den Kulturen, in denen diese Werke geschaffen wurden, oder den Museen, die sie nun besitzen? Diese Fragen beschäftigen die französische Germanistin und Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy, seit sie sich in ihrer Dissertation mit dem französischen Kunstraub in Deutschland um 1800 auseinandersetzte. Das Thema ließ ihr keine Ruhe. Zunächst als Wissenschaftlerin am Centre Marc Bloch in Berlin, dann als Juniorprofessorin und Professorin an der Technischen Universität Berlin eröffnete sie ein ganz neues Feld der kunsthistorischen Sichtweise auf die Kunstschätze, die weltweit in den Museen lagern und gezeigt werden – oft weit entfernt vom Ort ihrer Entstehung. Die innovative Forschung von Bénédicte Savoy zur Konzeption von Museen, zur transnationalen Museumsgeschichte und insbesondere zu Kunstraub, zum Transfer von Kunstgegenständen quer durch Europa, zu deren Herkunft, Verbleib und zur Identitätsstiftung durch sie gab der Kunstgeschichte in den letzten Jahren viele neue Impulse und fand international Beachtung.

Wenn Kulturerbe enteignet wird

Die Kunsthistorikerin will die Spannungen sichtbar machen, die von Beginn an mit der Idee des Museums verbunden sind. „Die glänzende Seite der Medaille hat in der westlichen Welt auch fast immer eine Kehrseite, nämlich die dunkle Seite von Gewalt – symbolischer oder realer“, sagt Bénédicte Savoy. „Man muss beide Seiten zusammen denken. Sie sind untrennbar verbunden, bilden eine widersprüchliche Einheit.“ Im Museum müssten diese beiden Seiten der Objekte sichtbar werden: Der Ort der Betrachtung, also dort, wo sie sich befinden, und gleichzeitig der Ort, wo sie sich nicht mehr befinden, der Ort ihrer Entstehung oder ihrer Auffindung. Die Umstände, die zur Verlagerung an den aktuellen Ort führten, oft über politische Grenzen hinweg – wirtschaftliche, kriegerische oder von Erkenntnishunger geleitete Gründe – müssten also immer mit ausgestellt werden. Bei vielen Präsentationen in Museen würde diese Objektgeschichten jedoch bislang nicht erzählt.

Dazu legte sie Studien über die symbolischen und materiellen Verwandlungen der Objekte vor, die zum Beispiel durch Kriegshandlungen oder Verlagerung während der Kolonialzeit. Ihre Forschung, in die sie kontinuierlich auch Studierende einbindet, widmet sich auch den kollektiven Emotionen, die mit der Erfahrung einer Enteignung des Kulturerbes beziehungsweise der Aneignung durch Siegermächte einhergehen. Der Streit um die Ausstellung der berühmten Büste Nofretetes, die in Ägypten von dem deutschen Forscher Ludwig Borchardt ausgegraben und nach Deutschland verbracht wurde, ist ein Beispiel dafür. Er schwelt seit 1913.

Ihre Studierenden bindet Savoy früh in die Forschungsarbeit ein...

Ihre Studierenden bindet Savoy früh in die Forschungsarbeit ein...
Bildquelle: David Ausserhofer

Doch auch aktuelle Diskussionen profitieren von Bénédicte Savoys Expertise. Ein Beispiel ist das Ringen um die Ausgestaltung des Humboldt Forums im neu errichteten Berliner Schloss, das ab 2019 die ethnologischen Sammlungen der Berliner Museen vereinen soll. Oder der Fall des Kunsthändlers Cornelius Gurlitt, in dessen Wohnung 2013 seit 1945 verschollen geglaubte Kunstwerke gefunden worden waren, und der die Aufmerksamkeit auf den europäischen Kunstmarkt zur Zeit des Nationalsozialismus lenkte. Ein neues bi-nationales Projekt unter der Leitung von Bénédicte Savoy untersucht nun erstmalig das deutsch-französische System „Kunstmarkt“ und seine Akteure wie Kunsthändler, Sammler, Diplomaten im Dritten Reich.

Eine Hauptstadt der deutschen Romantik liegt in Frankreich

Am altertumswissenschaftlichen Exzellenzcluster Topoi, einem Forschungsverbund von Freier Universität und Humboldt-Universität, ist sie unter anderem an einem Projekt beteiligt, das den Bau der Museumsinsel Ende des 19. Jahrhundert in den Blick in den nimmt und untersucht, wie die musealen Räume für die Ausstellung antiker Kunstwerke und Bauten gestaltet wurden. In anderen Studien zur Mobilität von Künstlern hat sie Paris als eine Hauptstadt der deutschen Romantik identifiziert. „Eine ganze Generation junger deutscher Intellektueller und Künstler, die nach Paris migrierten, dort lebten, arbeiteten, sich ausbilden ließen, haben in den Museen und Bibliotheken der französischen Hauptstadt um 1800 die Kulturlandschaft geprägt und damit zur transnationalen Geschichte von Objekten beigetragen. Bis heute spürt man die Folgen“, sagt sie. Friedrich Schlegel, Jacob Grimm oder die Librettistin Carl Maria von Webers, Helmina von Chézy, gehörten dazu.

Um das breite gesellschaftliche Kulturverständnis zu fördern und die internationalen Verflechtungen der Kunst- und Kulturszene sichtbar zu machen, kuratierte Bénédicte Savoy mehrere große, sehr erfolgreiche Ausstellungen. Große Aufmerksamkeit erregte sie zum Beispiel mit der Ausstellung „Napoleon und Europa. Traum und Trauma“ 2011 in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn oder mit einer Ausstellung über die Brüder Humboldt 2014 im Pariser Observatorium. In der Ausstellung „Museumsvisionen“, die sie gemeinsam mit Studierenden konzipierte und die 2015 im Musterraum der Berliner Bauakademie gezeigt wurde, präsentierte sie Ergebnisse ihres Forschungsprojektes im Rahmen des Exzellenzclusters Topoi. Die Ausstellung dokumentierte den Wettbewerb um die Bebauung der Berliner Museumsinsel 1883, die heute mit ihren Museumsbauten zum Unesco Weltkulturerbe zählt. Seit 2017 publiziert sie mit ihrem Team eines der ersten Open Access-Journale der Technischen Universität Berlin, das Journal for Art Market Studies. Es beschäftigt sich mitdem internationalen Kunstmarkt, insbesondere mit den Bedingungen und Mechanismen von Kunstproduktion, -handel und -rezeption. Das Journal ist frei zugänglich für alle Interessierten, folgt aber gleichwohl internationalen Standards, was Transparenz, Gutachterverfahren, Urheberrecht und Langzeitarchivierung betrifft.

... sie waren auch Teil des Teams zur Ausstellung „Museumsvisionen“, die sich mit Planungen für die Neugestaltung der Berliner Museumsinsel Ende des 19. Jahrhunderts befasste.

... sie waren auch Teil des Teams zur Ausstellung „Museumsvisionen“, die sich mit Planungen für die Neugestaltung der Berliner Museumsinsel Ende des 19. Jahrhunderts befasste.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Für ihre Leistungen wurde die unermüdliche, junge Forscherin vielfach ausgezeichnet, sowohl in Frankreich als auch in Deutschland, unter anderem von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und von der Académie Française. 2013 wurde sie in Frankreich sogar „Ritterin des nationalen Verdienstordens“. Einen Höhepunkt ihrer Karriere erreichte die heute 45-jährige Kunsthistorikerin jedoch, als sie 2016 mit dem Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgezeichnet wurde, der mit 2,5 Millionen Euro dotiert ist. Als Bénédicte Savoy die Nachricht bekam, dass sie den Preis erhalten würde, zeigte sich einmal mehr ihr besonderer Teamgeist. Sie empfand nicht vorrangig Euphorie, sondern zunächst große Erleichterung: „Mir war sofort klar, dass ich nun meinem wunderbaren, kreativen Team Perspektiven bieten kann, Planungssicherheit und die mögliche Umsetzung ihrer Forschungsideen. Das ständige Beschaffen von Geld für befristete Projekte bindet enorm viel Energie, die nun der Forschung zugutekommen wird.“

Botschafterin im Olymp der Wissenschaften

Doch damit nicht genug: Im vergangenen Jahr wurde sie außerdem an das Collège de France auf einen internationalen Lehrstuhl berufen. Ihre Antrittsvorlesung im März dieses Jahres wurde live im Internet übertragen. Die neu eingerichteten internationalen Lehrstühle ermöglichen dem Collège de France die Aufnahme von hochrangigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ausländischer Institute für fünf Jahre, diese können aber gleichzeitig an ihrer Universität bleiben. Mit dieser Berufung zog die Kunsthistorikerin in den Pariser Olymp der Wissenschaften ein, wie das französische „Grand Établissement“ in den Medien bezeichnet wurde. Bénédicte Savoy pendelt nun viel zwischen Paris und Berlin und trägt das Wissen musealer Objekte um ihre ursprüngliche Bedeutung, egal wo sie gelagert sind, über die Grenzen hinweg – als internationale Gelehrte und Botschafterin.

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