„Komplexe Probleme lassen sich nicht in den Grenzen eines einzelnen Fachs lösen“
Das Exzellenzcluster „Bild Wissen Gestaltung. Ein Interdisziplinäres Labor“ der Humboldt-Universität feiert fünfjähriges Bestehen.
04.08.2017
Hand anlegen: Im Fokus des Clusters steht die zentrale Rolle von Bildern für das Gewinnen, Modellieren, Vermitteln und Dokumentieren von Erkenntnissen.
Bildquelle: Matthias Heyde
Von der Laboranordnung bis zum Seminarraum, von der chemischen Formel bis zum Theoriegebäude – Wissenschaft ist Gestaltung. Im Exzellenzcluster Bild Wissen Gestaltung der Humboldt-Universität untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seit fünf Jahren Bilder, Objekte und Wissen als Gestaltungsprozesse. Ein Interview mit den Sprechern des Exzellenzclusters Horst Bredekamp und Wolfgang Schäffner.
Herr Professor Bredekamp, fünf Jahre Exzellenzcluster „Bild Wissen Gestaltung“ – welches Projekt hat Sie besonders fasziniert?
Bredekamp: Wir haben bereits in einem Vorläuferprojekt begonnen, die Frage der Bildaktivität, also der Eigentätigkeit von kulturellen Erzeugnissen – insbesondere am Bild – zu untersuchen. Wir sehen Bilder nicht als Abbilder an, die etwas wiedergeben, was andernorts bereits vorhanden ist, sondern begreifen sie als Mitproduzenten dessen, was sie darstellen. Damit analysieren und klären wir die Pseudolebendigkeit der Bilder, ihre Eigenaktivität, wie sie in allen Bereichen der Politik, des Militärs, des Terrors, der Medizin, der Naturwissenschaften und natürlich auch der Geisteswissenschaften auftritt. In Bildern wird die Welt und werden Modelle nicht repräsentiert, sondern diese kommen uns wie mit eigener Lebendigkeit entgegen.
Was heißt das für den Begriff der Kultur?
Bredekamp: Es handelt sich um eine weitreichende Neubestimmung von Kultur, die die Welt als Produkt unserer nur eingeschränkten Wahrnehmung definiert. Unser Ausgangspunkt ist von dem leider verstorbenen Philosophen John Michael Krois mitentwickelt worden. Es geht um die Anerkennung, dass wir im Wechselspiel von Gehirn, Körper, Gesten, Handlungen und Gestaltungen und dem, das uns als Geformtes entgegentritt, die Welt wie im Echolot, als „affordance“ wahrnehmen. Das anthropologisch und biologisch angelegte Körperschema der Biologie und die Philosophie des „Extended Mind“ kommen hier zusammen. Hier hat vor allem die Biologie einen starken Anknüpfungspunkt gefunden. Wir glauben, gemeinsam mit der Psychologie den bildaktiven und körperschematischen Charakter dessen, was uns entgegenkommt, experimentell bewiesen zu haben. Das ist eine wirkliche Entdeckung.
Herr Schäffner, Interdisziplinarität wird im Cluster großgeschrieben, welche Disziplinen waren für Sie als Geistes- und Medienwissenschaftler interessant?
Schäffner: Mein Interesse richtet sich vor allem auf Raum als materiale Strukturen und Architekturen. Zentral ist die Zusammenarbeit mit Architekten, Gestalterinnen aber auch Materialforschern, mit Physik und Biologie. Wir haben als einen gemeinsamen Gegenstand Strukturen gefunden, die die Frage von Architektur und von Material ganz neu denken lassen. Dabei ist meine Arbeit als Historiker und Theoretiker auch unmittelbar im Labor angekommen. Das war immer mein Traum, denn dies verändert das Denken, sowohl aus geistes- wie auch aus naturwissenschaftlicher Perspektive. Das führt zu einer neuen Geistes- und Materialwissenschaft, die in sich eine Vielzahl von Disziplinen enthält. Mit dem Materialwissenschaftler Peter Fratzl als drittem Sprecher markieren wir diesen Weg ganz explizit. Genau das war das Ziel der Clusters.
Video: Bild Wissen Gestaltung / Förm
Warum ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit so wichtig?
Schäffner: Komplexe Probleme lassen sich nicht in den Grenzen eines einzelnen Fachs lösen. Die Universität ist notwendigerweise nach Disziplinen organisiert, die ehr spezialisiert sein können und müssen. Gemeinsame Räume, in denen alle diese verschiedenen Expertisen zusammenarbeiten, gibt es aber eigentlich nicht. In unserem Cluster haben wir über 40 Disziplinen, die bei uns ganz eng zusammenarbeiten. Ihre gegenseitige Fremdheit ist längst verloren gegangen, da sie an Fragestellungen arbeiten, die für sie alle zentral sind.
Bredekamp: Vor allem englischsprachige Kollegen sind immer wieder überrascht über die Selbstverständlichkeit, in der wir im Labor zusammenarbeiten. Das ist, denke ich, das wichtigste Ergebnis. Der Exzellenzcluster verteidigt eine interdisziplinäre Idee von Universität im weitesten Sinn, die zunehmend bedrängt, vielleicht auch bekämpft wird. Unsere Zauberformel ist, die spezifischen Fachkenntnisse nicht etwa zu verkleinern, sondern vertiefen zu wollen, um die Zusammenarbeit zu garantieren.
Was ist daraus konkret entstanden?
Bredekamp: Es ist uns gelungen, ein Vertrauen über die Fach- und auch über die Kulturgrenzen hinweg zu schaffen. Daraus ist etwas entstanden, was den Kulturbegriff insgesamt – wie er seit der Antike existiert – verändert. Die Konzeption der toten Materie als passiv und der organischen Materie als aktiv ist uns zum Problem geworden. Und für mich kommt auf die erfrischendste Weise Leibniz mit Macht als Avantgarde zurück, insofern er in allen Sphären der Gestaltung, selbst bis in die scheinbar anorganische Welt hinein, eine Kraft der Eigenaktivität erkannte.
Warum ist Gestaltung so wichtig?
Schäffner: Die Herausforderung war, Gestaltung als wesentlichen Bestandteil der interdisziplinären Grundlagenforschung zu etablieren. Was heißt das? Wir untersuchen etwa Prozesse wie Schneiden, Falten oder Filtern, die man als Bauhaus-artiges Ensemble von Praktiken sehen kann, die aber gegenwärtig völlig neu erfunden werden. Etwa beim Schneiden in der Chirurgie, wo sich physische und virtuelle Verfahren überlagern, wird die Verbindung von theoretischen, historischen und gestalterischen Fragen zur Notwendigkeit fürs Gelingen.
Was bedeutet Ihre Forschung für den Alltag eines Chirurgen?
Schäffner: Die Chirurgie ist durch die Einbeziehung von virtuellen Techniken zurzeit dabei, sich völlig neu zu erfinden. Das Szenario des Skalpells und der Hand verändert sich radikal, da das Operationsfeld durch eine virtuelle Bildführung überlagert wird und der Chirurg in einem Bild navigiert aber tatsächlich in einem physischen Körper schneidet. Diese Konstellation eröffnet völlig neue Möglichkeiten für das Verhältnis von Bild und Materialität des Körpers. Diese Fragen zusammen mit Disziplinen zu entwickeln, die normalerweise nicht im OP agieren, ist ein wichtiger Input unseres Clusters für die Chirurgie. Mit der Charité können wir diese Dinge an einem Ort machen, an dem die Chirurgie große Geschichte geschrieben hat.
Der Cluster ist seit 2016 unter dem Dach des Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik angesiedelt? Welche Idee verbirgt sich hinter dieser Fusion?
Bredekamp: Diese Zusammenführung hat eine lange Vorgeschichte, die mit der Ausstellung Theatrum Naturae et Artis im Martin-Gropius-Bau im Jahr 2000 begann, die ich gemeinsam mit dem Mathematiker Jochen Brüning gestalten konnte. Das Helmholtz-Zentrum ist immer ein Organ gewesen, das die Sammlungen mitbetreut. Hier ist auch der Vorläufer des Clusters angesiedelt gewesen und so war es nur logisch, dass der Cluster die Union vollzogen hat.
Schäffner: Das Helmholtz-Zentrum war der Ort, an dem der Antrag für das Exzellenzcluster entstand, und es ermöglicht jetzt, Bild Wissen Gestaltung als ein interdisziplinäres Zentralinstitut mit Fakultätscharakterin die Struktur der Universität zu überführen.
Das Interview führte Ljiljana Nikolic, es erschien zunächst in der Zeitung der Humboldt-Universität HUMBOLDT im Juni 2017
Weitere Informationen
Der Exzellenzcluster „Bild Wissen Gestaltung. Ein Interdisziplinäres Labor“ der Humboldt-Universität ist ein Zusammenschluss aus Geistes-, Natur und Technikwissenschaften, der Medizin und – erstmalig für die Grundlagenforschung – auch der Gestaltungsdisziplinen Design und Architektur. Mehr als 40 verschiedene Disziplinen erforschen hier grundlegende Gestaltungsprozesse der Wissenschaften.
Seit 2012 wurden über 30 Forschungsprojekte durchgeführt, seit 2014 drei neue Professuren besetzt. 45 Principal Investigators und über 100 Mitglieder wirken auf professoraler Ebene mit. Über 180 Doktorandinnen, Doktoranden und Postdocs forschen und arbeiten in den Projekten an ihren Qualifikationsarbeiten. 170 studentische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben erste Erfahrungen in der interdisziplinären Forschung gesammelt.
Horst Bredekamp ist emeritierter Professor für Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität und seit Oktober 2015 Mitglied der Gründungsintendanz des Humboldt-Forums. Wolfgang Schäffner ist Wissenschafts- und Medientechnikhistoriker und Inhaber des Lehrstuhls für Kultur- und Wissensgeschichte an der Humboldt-Universität sowie Direktor des Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturgeschichte. Seit 2016 komplettiert der Physiker Peter Fratzl, Direktor des Max-Planck-Instituts für Kolloid und Grenzflächen (Golm), als dritter Sprecher die Leitung des Clusters.