Von ungeahnten Möglichkeiten in der Medizin
Georg Duda, Professor für Biomechanik, ist Gründungsdirektor des Julius Wolff Instituts und erforscht an der Charité die Regeneration des Bewegungsapparates.
26.06.2017
Seit 2008 ist Georg N. Duda Direktor des Julius Wolff Instituts und Professor für Biomechanik und Muskuloskeletale Regeneration an der Charité. Er ist auch Vizedirektor des Berlin-Brandenburger Centrums für Regenerative Therapien.
Bildquelle: Charité
Wer das Forschungsgebäude in Berlin-Wedding betritt, dem fällt sofort das Zitat in der Eingangshalle auf: „Erfindung besteht aus einem Prozent Inspiration und neunundneunzig Prozent Transpiration.“ Thomas Alva Edison hat das gesagt, jener US-amerikanische Elektrotechniker, der als Erfinder der Glühbirne bekannt wurde.
Georg Duda findet, dass das Motto auch gut zu seiner Arbeit und der Wissenschaft im Allgemeinen passt: „Wir wollen große Sprünge wagen und die Versorgung von Patienten verbessern. Solche Sprünge wird man nur schaffen, wenn man hart daran arbeitet, die Klinik und die Grundlagenforschung zu verstehen und zusammenzubringen. Nur auf eine Eingebung zu hoffen, das funktioniert nicht.“
„Ich hatte nie den Plan, Professor in der Medizin zu werden.“
Duda beschäftigt sich mit dem Zusammenwirken von Knochen und Muskeln und wie diese Gewebe sich nach einer Verletzung gegenseitig bei der Heilung beeinflussen. Dabei ist er eigentlich Ingenieur: In den achtziger Jahren hat er Feinwerktechnik und Biomedizinische Technik an der Technischen Universität Berlin studiert. Zur Medizin sei er eher durch Zufall gekommen: „Ich hatte nie den Plan, Professor in der Medizin zu werden.“
Nach seinem Studium in Berlin ging Duda zunächst in die USA, wo er im Biomechaniklabor der renommierten Mayo Clinic in Minnesota tätig war. Anschließend promovierte er als Biomechaniker an der Technischen Universität Hamburg-Harburg und ging als Postdoc an die Universität Ulm in die unfallchirurgische Forschung und Biomechanik. 1997 wechselte der gebürtige Berliner an die Charité. Als Leiter des Forschungslabors des Centrums für Muskuloskeletale Chirurgie beantragten Duda und sein Team die Einrichtung einer klinischen Forschergruppe bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG); Duda wurde als Professor für Biomechanik und Biologie der Knochenheilung berufen. 2008 gründete er mit seinem Partner Professor Georg Bergmann das Julius Wolff Institut.
Für die biomechanische Forschung am Julius Wolff Institut ist die enge Verbindung zum interdisziplinär strukturierten Berlin-Brandenburger Centrum für Regenerative Therapien (BCRT) ein großer Vorteil; die Einrichtung ging 2006 aus einem Zusammenschluss der Charité und der Helmholtz-Gemeinschaft hervor. Am BCRT arbeiten Kliniker, Wissenschaftler und Ingenieure gemeinsam daran, Heilungsprozesse besser zu verstehen und darauf aufbauend Therapien zu entwickeln. Der enge Verbund von Immunologen, Knochen- und Muskelforschern, Kardiologen und Herzchirurgen, die gemeinsam mit Materialwissenschaftlern unter einem Dach forschen, sei dafür ideal, sagt Duda.
„Was mich bis heute antreibt, ist das Wechselspiel zwischen Biologie und Mechanik. Diese beiden Welten, die im Schulunterricht oftmals nichts miteinander zu tun haben, sind in der Natur - also auch im menschlichen Organismus - extrem eng miteinander verwoben.“ Im vergangenen Jahrzehnt habe sich die Medizin sehr auf die Erforschung von Molekülen konzentriert. Damit sei das essentielle Wechselspiel zwischen der molekularen und zellulären Ebene bis hin zum Organ ausgeblendet worden. „Erst in den vergangenen Jahren ist deutlich geworden, dass die Mechano-Biologie – ein junges Forschungsgebiet, das sich mit dem Wechselspiel zwischen Biologie und Mechanik beschäftigt auf vielen Ebenen in unserem Körper wirksam ist“, sagt Duda. So beeinflusse die Gewebe-Elastizität die Differenzierung von Stammzellen, und die Oberflächengeometrie wirke sich auf die Zellbewegung und Funktion des Zellkerns aus. „Zellen organisieren und orchestrieren sich, indem sie aneinander ziehen und sich über physikalische Signale auch koordinieren. Damit öffnet die Mechano-Biologie ungeahnte Möglichkeiten in der Medizin, die wir in einer ausschließlich molekularen Betrachtung weitestgehend außer Acht gelassen haben – das ist es, was mich fasziniert“, sagt Duda.
Von der Grundlagenforschung zum Einsatz in Therapien
Oft werde vergessen, dass lebendes Gewebe ständig unter mechanischer Spannung steht, um letztlich das Funktionieren von Organen zu ermöglichen und deren Struktur zu erhalten. „Wenn ein Patient zum Arzt kommt und sagt, dass ihm etwas wehtut, dann handelt es sich um eine organische Fehlfunktion und damit um das Gewebe. Alles im Körper ist ein Auf- und Abbau von Gewebe und damit eine ständige Regeneration. Wir wollen deshalb an unserem Forschungszentrum eine Medizin ermöglichen, die das Wechselspiel unterschiedlicher Gewebe und die körpereigenen Prinzipien der Regeneration von Gewebe erforscht und in Therapien zum Einsatz bringt.“
Zum Beispiel verstehe man heute noch nicht genau, wie das Immunsystem die Regeneration beeinflusst oder gar orchestriert, sagt Duda. Zusammen mit Partnern aus der Immunologie forscht der Wissenschaftler unter anderem daran, welche Immunzellen eine gute Knochenheilung fördern und welche diese eher hemmen. „Alle Fragen, mit denen wir uns beschäftigen, haben ihren Ursprung in der Klinik, insbesondere in der Orthopädie und Unfallchirurgie. Und dorthin sollen unsere Forschungsergebnisse auch wieder zurückfließen.“ Der unschätzbare Vorteil der Universitätsmedizin in Deutschland sei, sagt Duda, dass durch die enge Kopplung von Forschung und Klinik unmittelbar Erkenntnisse am Patienten gewonnen werden könnten, um Therapien in den Kliniken durch Grundlagenforschung besser gestalten zu können. „Für viele Pharmaunternehmen oder Medizintechnikunternehmen ist das heute oft nicht mehr leistbar. Wir haben im BCRT eine Struktur aufgebaut, um Klinikern und Forschern frühzeitig die Möglichkeit dieser Reversed Internal Translation zu geben.“
Georg Duda hat Implantate für die Knochenheilung optimiert, die heute weltweit verfügbar sind. Mit den grundlegenden Untersuchungen zu Belastungen im menschlichen Körper hat sein Team die Basis für alle gängigen Zulassungsnormen in der internationalen Orthopädie gelegt. Aktuell untersucht er mit einer Arbeitsgruppe, wie sich Muskeln bei der schnelleren und narbenfreien Regeneration unterstützen lassen. Wenn beispielsweise bei einer Operation Muskulatur beschädigt wird – das passiert bei jeder OP – diese Muskeln aber nicht nur für die Funktion des Bewegungsapparats, sondern auch für eine schnelle und unkomplizierte Heilung besonders wichtig sind: „Für beschädigte Muskeln haben wir heute eigentlich keine zufriedenstellenden therapeutischen Ansätze“, sagt Georg Duda. Zusammen mit Chirurgen, Biomaterialexperten, Stammzellforschern und einem Unternehmen hat Dudas Team deshalb eine Zelltherapie entwickelt, die die Narbenbildung des heilenden Muskels deutlich reduziert und die Muskelfunktion nach chirurgischen Eingriffen schneller wiederherstellt: „Es ist die erste Zelltherapie zur Muskelregeneration weltweit, und sie wird jetzt in einer klinischen Phase-III-Studie zur Zulassung gebracht“, sagt Duda.
Forscherinnen und Forscher an den Grenzen der Disziplinen
Duda, der zu den drei Gründungsdirektoren des Berlin-Brandenburger Centrums für Regenerative Therapien zählt und Sprecher der angegliederten Graduiertenschule BSRT ist, arbeitet auch intensiv mit den Sportwissenschaftlern an der Humboldt-Universität zusammen. Er ist überzeugt davon, dass Forschung ganz grundsätzlich heute nur noch in Zusammenarbeit funktioniert und dass – in seinem speziellen Bereich – Regeneration eng an Prävention gekoppelt werden muss: „Ich finde es extrem spannend, wenn Forscher an den Grenzen der Disziplinen zusammenarbeiten, um etwas wirklich Neues zu schaffen. Durch Kooperationen können Wissenschaftler ihre eigenen Techniken verbessern und ihre Forschung zu einem grundlegenderen Verständnis führen.“
Berlin biete besondere Möglichkeiten, da ist sich Duda sicher: „Die Stadt hat einen unschätzbaren Reichtum durch ihre zahlreichen renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und das damit verbundene intellektuelle Potenzial. Der einzige Nachteil an diesem Reichtum ist, dass man sich immer umschauen muss, ob nicht jemand anderes schon eine bessere Idee hatte“, sagt Duda und lacht. Aber auch diese Mühe fällt wohl unter die neunundneunzig Prozent Schweiß, ohne die es keine neuen Ideen und Erfindungen gäbe.