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Noch einmal mit Gefühl

Die Psychologin Isabel Dziobek forscht an der Graduiertenschule Berlin School of Mind and Brain der Humboldt-Universität zu Programmen, mit denen sich Empathie trainieren lässt.

13.06.2017

Als Mentorin setzt sich die Professorin auch für die Förderung von Nachwuchswissenschaftlerinnen ein.

Als Mentorin setzt sich die Professorin auch für die Förderung von Nachwuchswissenschaftlerinnen ein.
Bildquelle: Heike Zappe

Isabel Dziobek erinnert sich an den Moment, als es „klick“ machte. Es war 2001 und Dziobek arbeitete an ihrer Doktorarbeit am Center for Brain Health an der New York University School of Medicine. Um einen Versuchsaufbau zu prüfen, brauchte sie Testpersonen, die Emotionen anderer Menschen nicht erkennen können. Also nahm sie Kontakt zu Selbsthilfegruppen für Autisten auf. Und als sie dann dort saß und zuhörte, hatte sie plötzlich ihr Ziel gefunden: „Ich erlebte damals, wie Autisten sehr selbstbewusst ihre Stärken wahrnehmen und nicht nur die eigenen Defizite sehen. Das hat mich nicht mehr losgelassen: Seitdem will ich diese Stärken finden und aktivieren.“

„Empowerment“ nennt sich diese Idee auf Englisch: Maßnahmen, die den Grad an Autonomie und Selbstbestimmung im Leben der Betroffenen erhöhen können. Dieses Ziel zieht sich seitdem durch Isabel Dziobeks Forschung. Seit 2014 ist die 43-Jährige Professorin für Social Cognition an der Graduiertenschule Berlin School of Mind and Brain der Humboldt-Universität zu Berlin, an der auch die Charité sowie die Technische Universität Berlin und die Freie Universität Berlin als Partner beteiligt sind. Hier entwickelt sie immer neue Methoden, um herauszufinden, wie Emotionen zwischenmenschliches Verhalten regulieren. Etwa, wie Menschen Gefühle erkennen und ausdrücken. Außerdem möchte sie Wege finden, wie man Patienten, die damit Probleme haben, helfen kann.

Graduiertenschulen

Ihr Team arbeitete zum Beispiel mit achtzig Schauspielern zusammen, die vor der Kamera verschiedene Gefühle ausdrückten. Eine Softwarefirma entwickelte daraus ein Spiel, mit dem etwa Autisten trainieren können, Emotionen zu erkennen. Aber auch Menschen ohne psychische Störung können damit ihre sozialen Kompetenzen stärken. „Ich glaube, Empathie ist eine wichtige Fähigkeit, um im Leben Erfolg zu haben. Und mit Erfolg meine ich nicht nur das Geldverdienen, sondern zum Beispiel auch ein funktionierendes soziales Netz zu haben,“ erklärt Dziobek.

Lange habe man Emotionen wissenschaftlich vernachlässigt, sagt sie. Seit dem sogenannten Emotional Turn in der Wissenschaft stehe allerdings die Erforschung von Gefühlen hoch im Kurs: „Die neurowissenschaftliche Forschung hat gezeigt, dass auch bei vermeintlich rationalen Entscheidungen das emotionale Hintergrundrauschen eine wichtige Rolle spielt – also das, was landläufig Bauchgefühl genannt wird.“

Wenn Isabel Dziobek von ihrem eigenen Werdegang erzählt, kommt man nicht umhin, sie selbst als Beispiel für diese Theorie zu nehmen. Zur Psychologie sei sie eher zufällig gekommen: „Ich hatte Erziehungswissenschaften als Abiturfach und dachte, Psychologie sei sicher so ähnlich – ohne genau zu wissen, welchen Job ich damit machen will.“ An ein Leben als Forscherin habe sie jedenfalls nicht gedacht: „Ich war nicht besonders auf das Studium fokussiert und habe nebenbei in Diskos gejobbt, selbst Partys organisiert, hatte ein spannendes Sozialleben und fand das viel wichtiger.“

Aber sie ergriff die Chancen, als sie sich boten. Das Doktorandenstipendium in New York etwa. Oder, 2006 zurück in Deutschland, die Teilnahme am Mentorinnen-Programm ProFiL, mit dem die Technische Universität Berlin, die Humboldt-Universität zu Berlin und die Freie Universität Berlin gemeinsam Nachwuchswissenschaftlerinnen auf dem Weg zur Professur unterstützen. „In meinen Augen haben die Berliner Universitäten bei der Förderung von Frauen eine Vorreiterrolle. Und ich habe sehr davon profitiert“, sagt Dziobek. 2009 wurde sie Leiterin der Nachwuchsforschungsgruppe „Understanding Interaffectivity“ am Exzellenzcluster Languages of Emotion an der Freien Universität Berlin, wo sie sich 2014 habilitierte. Es folgte die Professur an der Graduiertenschule Berlin School of Mind and Brain an der Humboldt-Universität. Der Wechsel klappte reibungslos. Heute betreut Dziobek selbst drei Mentees und berichtet regelmäßig bei Podiumsdiskussionen und Workshops von ihren Erfahrungen. Auch eine Form von Empowerment.

Doch um Menschen auf ihrem Weg zu unterstützen, muss man zunächst einmal wissen, was diese überhaupt wollen. Deshalb arbeitet Isabel Dziobek immer „nah am Menschen“. Seit zehn Jahren leitet sie eine partizipatorische Forschungsgruppe. Autisten forschen dort gemeinsam mit Wissenschaftlern zu Fragen, die sie selbst relevant finden. Da gehe es dann weniger um Heilungschancen, sondern um Lebensqualität und bessere Versorgung, erzählt Dziobek. 2016 erhielt sie für die „Autismus-Forschungs-Kooperation“ (AFK) den Antistigma-Preis der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. Eine von mittlerweile zahlreichen Auszeichnungen für ihre Arbeit. Es sei ihr wichtig, den Kontakt zum Beruf und zu den Menschen nicht zu verlieren, sagt sie. Neben ihrer Forschung praktiziert sie immer noch als Psychotherapeutin, sieht wöchentlich zwei Patienten und hat eine offene psychotherapeutische Sprechstunde in einem Flüchtlingsheim aufgebaut.

Es sind nicht nur die Begegnungen mit Menschen, aus denen Isabel Dziobek Ideen für neue Forschungsprojekte entwickelt. Zentral sind für sie auch neue technische Entwicklungen, wie emotionssensitive Maschinen zum Beispiel. In Zukunft könnten Computer die Gefühle von dementen Menschen lesen, ihr Stressempfinden messen – und entsprechend reagieren. „Wenn Maschinen uns helfen, Bedürfnisse zu befriedigen, wird es auch eine viel tiefere emotionale Bindung zur Maschine geben,“ sagt Dziobek. Und weil das ganz neue ethische Fragen aufwerfe, arbeitet sie bereits jetzt bei Projekten zu emotionssensitiven Programmen mit dem Ethiker Professor Arne Manzeschke von der Ludwig-Maximilians-Universität München zusammen.

Niemand kann absehen, welche technischen Hilfsmittel es in Zukunft bei psychischen Störungen geben wird. Für Autisten gibt es zum Beispiel bereits eine Brille, die ihnen anzeigt, welche Gefühle das Gesicht des Gegenübers ausdrückt. Aber Isabel Dziobek hofft, dass nicht nur Prothesen entwickelt werden, die Patienten permanent tragen müssen. Sie möchte Programme entwickeln, mit denen Betroffene langfristig lernen, ihre Schwächen zu kompensieren. Und sie ist überzeugt: „Technik kann Menschen helfen, sich selbst zu helfen.“

Schlagwörter

  • Forschung
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