Mit ihm muss Berlin rechnen
Professor Günter M. Ziegler forscht und lehrt an der Freien Universität. Die Stärke der Mathematik in Berlin sieht er in der Kooperation dreier Berliner Universitäten.
13.06.2017
Günter M. Ziegler ist Professor am Institut für Mathematik der Freien Universität Berlin und hat bereits viele Forschungskooperationen auf den Weg gebracht, darunter das Matheon und die Berlin Mathematical School.
Bildquelle: Stefan Gräf
Als Günter M. Ziegler 1992 als junger Wissenschaftler nach Berlin kam, eröffnete sich für ihn eine neue Welt. „Ich habe damals erlebt, wie die großen Köpfe der Berliner Mathematik – Martin Grötschel von der Technischen Universität Berlin, Peter Deuflhard von der Freien Universität und Jürgen Sprekels von der Humboldt-Universität – gemeinsam geforscht und Projekte angestoßen haben. Wenn führende Wissenschaftler eine solche Stimmung der Zusammenarbeit verbreiten, dann steckt das an.“ 25 Jahre später ist der Mathematiker Günter Ziegler selbst einer der großen Teamplayer im Zusammenspiel von Freier Universität, Technischer Universität Berlin und Humboldt-Universität. In der Hauptstadt finde er „ein Setting, das einzigartig ist“.
Das „Setting“, das sind auch die Kooperationsprojekte der Freien Universität, Technischen Universität Berlin und Humboldt-Universität. „Ich könnte nirgends sonst so viel auf die Beine stellen wie hier“, sagt der 54-Jährige. Ziegler ist Hochschulprofessor am Institut für Mathematik der Freien Universität und leitet dort die Arbeitsgruppe Diskrete Geometrie. Seit Mai 2017 ist er zudem Honorarprofessor an der Technischen Universität Berlin. Die Professur führt ihn zurück an seine erste Wirkungsstätte in Berlin. An der Technischen Universität Berlin habilitierte er sich 1992 und war dort als Privatdozent und von 1995 bis 2011 als Professor für Mathematik tätig. Dann wechselte er an die Freie Universität.
Günter Ziegler hat in Berlin eine Vielzahl von Forschungskooperationen auf den Weg oder vorangebracht: Er zählt zu den ersten Mitgliedern von Matheon, das 2002 als Forschungszentrum der Deutschen Forschungsgemeinschaft gegründet wurde. Mittlerweile hat sich Matheon zur international anerkannten Marke für anwendungsorientierte Mathematik entwickelt und wird – nachdem es den Höchstförderzeitraum der DFG erreicht hatte – seit 2012 von der Einstein-Stiftung Berlin gefördert.
Am Matheon arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten, des Weierstraß-Instituts für Angewandte Analysis und Stochastik (WIAS) und des Konrad-Zuse-Zentrums für Informationstechnik Berlin (ZIB) daran, mithilfe der Mathematik neue Methoden für Schlüsseltechnologien etwa im Gesundheitswesen, der Logistik und der Visualisierung zu entwickeln. Günter Ziegler brachte das Graduiertenkolleg „Methods for Discrete Structures“ als Sprecher an den Start, im Jahr 2008 war er als Präsident der Deutschen Mathematiker-Vereinigung (DMV) maßgeblich an der Konzeption und Organisation des bundesweiten „Jahres der Mathematik“ beteiligt. Aus diesem Projekt entstand das „Medienbüro Mathematik“ der DMV, das inzwischen von der Freien Universität aus das Thema Mathematik an die Medien vermittelt.
„Gemeinsam können wir viel mehr bewegen“
In der ersten Runde der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder 2006 warb Günter Ziegler im Verbund mit Kolleginnen und Kollegen eine der ersten Graduiertenschulen in Berlin ein: die Berlin Mathematical School (BMS), eine gemeinsame Einrichtung von Technischer Universität Berlin, Freier Universität und Humboldt-Universität, deren Sprecher er von 2006 bis 2007 war. Das international angesehene Programm der BMS führt Studierende aus aller Welt in wenigen Jahren vom Bachelor direkt zur Promotion. Bis März 2017 wurden an der Graduiertenschule insgesamt 233 Doktoranden promoviert. Die Sprecherschaft der BMS wird alle zwei Jahre zwischen Technischer Universität Berlin, Humboldt-Universität und Freier Universität weitergegeben; zurzeit ist Ziegler wieder Sprecher.
„Gemeinsam können wir viel mehr bewegen, als wenn jeder für sich arbeitet“, sagt Günter Ziegler und zählt die Expertisen der Universitäten auf, die an der BMS zusammenlaufen: die Technische Universität Berlin mit ihren vier Schwerpunkten in Stochastik, Numerik, Optimierung und Geometrie; die Humboldt-Universität mit ihrem Know-how, beispielsweise in Algebra und Zahlentheorie sowie in Nichtlinearer Optimierung; und die Freie Universität mit Schwerpunkten unter anderem in der Mathematik in den Lebenswissenschaften und Diskreter Mathematik. „In meinem Forschungsbereich an der Freien Universität beschäftigen wir uns mit den vielfältigen Fragestellungen der Diskreten Geometrie, insbesondere mit der Theorie der hochdimensionalen Polyeder“, erläutert Günter Ziegler. Hier bricht er seine Erklärungen ab und lacht: „Aber ohne Geometrie-Vorlesung ist das nicht so leicht zu verstehen.“ Für Ziegler sind das Matheon und die BMS wichtige Einrichtungen für eine Vernetzung in der Mathematik.
Dass er ein ausgewiesener Teamplayer werden würde, habe er in seinen wissenschaftlichen Anfängen nicht gedacht, er sei eher ein Einzelkämpfer gewesen, sagt Ziegler. Seine Studienzeit hat er als Turbojahre in Erinnerung. „Mit 18 war ich an der Uni, mit 24 promoviert.“ Rückblickend beschreibt er sich als übereifrig und überambitioniert: „Ich wollte allen zeigen, dass ich es kann.“ Ein Einzelkämpfer, den es nach seinen Vordiplomen in Mathematik und Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität in München zur Promotion an das Massachusetts Institute of Technology (MIT) in die USA führte, anschließend an die Universität Augsburg. Dort war er von 1987 bis 1991 wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Martin Grötschel – dem heutigen Präsidenten der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften –, bevor dieser eine Professur an der Technischen Universität Berlin annahm. Günter Ziegler ging 1991 für ein Forschungsjahr auf dem Gebiet der Kombinatorik an das Mittag-Leffler-Institut im schwedischen Djursholm und habilitierte sich ein Jahr später in Berlin. Hier erlebte er die Zusammenarbeit von Grötschel, Deuflhard und Sprekels, was ihn begeisterte.
Seine Begeisterung für das Fach vermittelt Ziegler auch in Buchform. Das jüngste Buch trägt den ironischen Titel „Mathematik – Das ist doch keine Kunst!“ und beschreibt Zieglers Wissenschaft unterhaltsam anhand von 24 Bildern: als eine Kunst, die Kunst produziert, als Spielplatz für ambitionierte Abenteurer, aber auch als ein wesentlicher Motor für den Fortschritt.