Es liegt was in der Luft
Ein neues Modell soll helfen, Städte fit für den Klimawandel zu machen. Das komplexe Projekt kann nur in wissenschaftlicher Teamarbeit entwickelt werden.
13.06.2017
Aus der Luft gegriffen: An der Fassade des Mathematikgebäudes der Technischen Universität sammeln Wissenschaftler Daten wie Lufttemperatur, Luftfeuchte und Strahlung.
Bildquelle: Technische Universität Berlin, Fachgebiet Klimatologie 2017
Wenn vom Klimawandel die Rede ist, dann geht es oft um Polkappen, Wüsten oder Regenwälder. Aber auch zwischen Hochhäusern, Hinterhöfen und Grünanlagen wird sich das Klima in Zukunft verändern – in den Städten also, wo zugleich weltweit immer mehr Menschen leben werden. Städte sind Betroffene und Verursacher des Klimawandels gleichermaßen: Sie sind für den Großteil des Treibhausgas-Ausstoßes verantwortlich und leiden zunehmend unter sommerlichen Hitzewellen und Luftverschmutzung.
Wie aber können Städte den Auswirkungen der Klimaänderung entgegenwirken? Und was müssen sie unternehmen, damit die Metropolen lebenswert bleiben? Den Antworten auf diese Fragen wollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 13 Millionen Euro geförderten Projekt näherkommen. In „Stadtklima im Wandel“ entwickeln die Projektpartner in den kommenden drei Jahren ein Modell, mit dem das Klima in Städten detailliert simuliert werden kann. Mit Hilfe der Daten können Städteplaner in Zukunft wissenschaftlich fundiert den Klimawandel berücksichtigen – etwa mit Hecken, die vor Feinstaub schützen oder einer geschickten Planung von Fußwegen, sodass ältere Menschen weniger Hitze und Luftbelastung ausgesetzt sind.
Das Projekt ist in drei Module mit insgesamt 30 Teilprojekten unterteilt, an denen auch die Humboldt-Universität, die Technische Universität Berlin und die Freie Universität beteiligt sind. Die drei Module sind eng miteinander verknüpft: In einem sammeln die Forscherinnen und Forscher Daten zu Wetter, Klima und Luftschadstoffen in Berlin, Stuttgart und Hamburg, in einem weiteren bringen potenzielle Anwender ihre Ansprüche an das Modell ein, und in einem dritten Teilprojekt wird das neu zu entwickelnde Modell programmiert.
Koordiniert wird das Programm von Dieter Scherer, Leiter des Fachgebiets Klimatologie an der Technischen Universität Berlin. Er sagt: „Das Bewusstsein, dass sich die Städte auf die lokalen Auswirkungen des Klimawandels einstellen müssen, ist in den vergangenen zehn Jahren gewachsen.“ Noch fehlen jedoch die Instrumente, um zu berechnen, wie etwa ein Bauprojekt das Klima in einem bestimmten Quartier verändern wird. In bisherigen Modellen seien Städte ein blinder Fleck, erklärt Scherer: „Traditionell sollen Messstationen Daten für die Wettervorhersage liefern. Deshalb versucht man, sie von sogenannten Verstädterungseffekten fern zu halten und geht nicht gerade in die Innenstädte hinein.“ Andere Modelle, die etwa Architekten verwenden, seien dagegen zu kleinteilig: Sie betrachteten Gebäude isoliert vom städtischen Umfeld.
Die Grafik zeigt das Klima auf der Halbinsel Macau in der sogenannten PALM-Simulation - schlechte Ventilation ist rot dargestellt, gute Ventilation blau. Dieses Modell liefert die Grundlage für das neue Stadtklimamodell.
Bildquelle: Leibniz Universität Hannover, Institut für Meteorologie und Klimatologie; Maronga und Gronemeier 2016.
Die Lösung soll ein neues Modell liefern. Es trägt den Namen PALM-4U und soll das Stadtklima hausnummerngenau berechnen können: Die Wechselwirkungen zwischen Temperatur, Feuchtigkeit, Luftturbulenzen, UV-Strahlung und Luftchemie; im Zeitverlauf, an verschiedenen Orten und vor verschiedenen Szenarien des Klimawandels. Sabine Banzhaf, Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe Troposphärische Umweltforschung am Institut für Meteorologie der Freien Universität Berlin sieht darin die größte Herausforderung. „Das Modell soll für die komplexen Fragen der Wissenschaft genauso geeignet sein, wie für Berechnungen im Alltag von Stadtplanern. Dazu darf es nicht nur auf Großrechnern laufen, sondern muss so konfigurierbar sein, dass es auch mit der Rechenleistung eines Laptops funktioniert.“
Dafür füllen die Entwickler zunächst die blinden Flecken bestehender Klimamodelle. Sie speisen so viele städtische Daten wie möglich ein: Bebauungspläne, Baumkataster, Satellitenbilder zur Landnutzung und Emissionsdaten. Bei der Entwicklung des neuen Modells bringt jeder Projektpartner seine Stärken ein, Sabine Banzhaf etwa ihr Wissen über den Transport und die Umwandlung chemischer Luftschadstoffe. Denn das Modell muss auch Wechselwirkungen wie diese berücksichtigen können: „Generell ist Stadtbegrünung ein gutes Mittel, um dem Effekt der städtischen Wärmeinsel entgegenzuwirken. Anderseits behindern Bäume, zum Beispiel in Straßenschluchten, aber auch die Durchlüftung, was die Anreicherung von Schadstoffen begünstigt“, sagt Sabine Banzhaf. Außerdem gäben Pflanzen Vorläuferstoffe von Ozon ab und könnten zu erhöhten Ozonwerten beitragen. Ab Ende 2017 wird eine vorläufige Version des Modells getestet. Dann speisen die Entwickler die Modellszenarien mit realen Klimadaten, die bereits jetzt gesammelt werden.
Die aufwändigen und teuren Messungen sind nur im Team möglich.
Bildquelle: Technische Universität Berlin, Fachgebiet Klimatologie 2017
Christoph Schneider ist Klimageograph an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er bringt seine Expertise für Feinstaub ein. Sein Team entwickelt den mobilen Sensor „URBMOBI 3.0“. Dieser kann Luftschadstoffe wie Feinstaub, Ozon oder Stickstoffe messen und versieht die Messdaten mit GPS-Koordinaten. In Zukunft könnte der Sensor etwa auf Bussen durch die Städte fahren und permanent ortsgenaue Messdaten an einen Server funken.
Die Daten zur Schadstoffbelastung auf Straßenniveau werden von Dieter Scherer und seinem Team in der Klimatologie der Technischen Universität Berlin ergänzt durch vertikale Messungen in ein bis zwei Kilometern Höhe, um alle Luftschadstoffe zu erfassen.
Messungen in allen Höhenlagen: Auch Multikopter kommen zum Einsatz.
Bildquelle: Leibniz Universität Hannover, Holger Schilke 2016
Temperaturunterschiede innerhalb der Stadt erfasst die Arbeitsgruppe von Sahar Sodoudi, Juniorprofessorin für Stadtklima am Institut für Meteorologie der Freien Universität. Die Meteorologin und ihr Team haben zwanzig neue Messstationen in Berlin aufgestellt: In Wohnsiedlungen mit dichter bis lockerer Bebauung, auf Rasenflächen und Feldern, in Wäldern. Auch in kleinen und großen Parks sowie am Müggelsee, Tegeler See und Wannsee stehen die Stationen, die auch Abkühlungseffekte von Parks und Wasserflächen messen.
„An einem Sommertag können sich die Temperaturen der verschiedenen Messstationen um bis zu 8 Grad unterscheiden“, sagt Sodoudi. Im Stadtgebiet, wo die Luft „steht“, es also weniger Ventilation und Luftaustausch gibt, könne das an heißen Tagen und während Hitzewelle zu einer höheren Hitzebelastung führen.
Weil sich nicht jeder Quadratmeter Berlins über die gesamte Projektlaufzeit von drei Jahren erfassen lässt, kombinieren die Wissenschaftler Langzeitmessungen an festen Stationen mit kurzen, aber intensiven Messungen, bei denen alle Teams gleichzeitig auf kleinem Raum unterwegs sind. Man merkt Christoph Schneider die Begeisterung an, wenn er von diesen Tagen spricht: „Da fliegt die Drohne der Augsburger Universität am Ernst-Reuter-Platz Vertikalprofile rauf und runter. Die Technische Universität Berlin misst mit ihren Masten Wind auf mehreren Höhenniveaus. Wir von der Humboldt-Universität hängen unsere kleinen Sensoren in verschiedenen Höhen an die Balkone des Mathematikgebäudes der Technischen Universität. Dazu kommen zwei oder drei Gruppen, die mit dem Fahrrad und mit einem Messfahrzeug Daten sammeln.“ Aufwändige und teure Messungen, die ein Team alleine gar nicht leisten könne: „Gemeinsam schaffen wir ein umfassendes Modell und einen Messdatensatz zur Evaluation, an dem jeder einzelne von uns alleine scheitern würde.“
Auch Dieter Scherer sagt: „Wir haben eine Situation geschaffen, in der alle Beteiligten gebraucht werden und keine Konkurrenz entsteht. Natürlich haben wir die Partner entsprechend ausgesucht, aber es ist immer auch ein bisschen Glück dabei.“
2019 soll das neue Stadtklimamodell fertig und anhand der Messdaten validiert sein. Vorausgesetzt die benötigten Basisdaten wie Bebauungspläne, Baumkataster oder Satellitenbilder liegen vor, könnte das Modell dann weltweit für Städte eingesetzt werden, um zum Beispiel mit neuen Formen der Bebauung oder der Begrünung den negativen Effekten des Klimawandels entgegen zu wirken.